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Arnold Vogt
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  Die Pfarrerfamilien Simonis und Simonis-König 
  zwischen Reformation u. Säkularisation
  (in den Pfarreien Anröchte, Mellrich und Esbeck von 1535 bis 1846) 
  in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung, 
  Band 40, 1982, 
  Sonderdruck der Seiten 177 - 198
spätere Aufsätze 

 
Die Pfarrerfamilien Simonis und Simonis-König zwischen Reformation und Säkularisation
(in den Pfarreien Anröchte, Mellrich und Esbeck von 1535 bis 1846)

Von Arnold M. Vogt

Inhaltsverzeichnis

I    Einleitung 177
II   Die Geistlichen und Juristen des Simonis-Geschlechts in Anröchte und Mellrich 178
III  Die Pfarrerfamilie Simonis-König in Mellrich und in Esbeck 184
      1) Pastor Heinrich Simonis 184
      2) Die Inhaber der Esbecker Blutsvikarie St. Barbara 189
IV  Zusammenfassung: Zur Rekrutierung des Priesternachwuchses aus der 
      ländlichen Bevölkerung

196
      Ahnenauszug / Verwandtschaftstafel 198


I
Einleitung

Die Geschichte der Familien Simonis (Anröchte), bzw. Simonis-König (Mellrich und Esbeck) erlaubt einen tiefen Einblick in die sozialgeschichtliche Entwicklung des kurkölnischen Herzogtums Westfalen. Dort konnten diese Familien und deren nähere Verwandtschaft nämlich vom 16. bis zum 19. Jahrhundert sehr viele Kirchenämter besetzen (Pfarrer, Kapläne, Nonnen, Lehrer, Küster usw.). Diese familiäre Amtstradition verdankte ihre Kraft und Dauer einem engen, ständisch orientierten Verwandtschaftskreis, auf den zum Beispiel die Hochzeiten von Kindern oder die jeweilige Amtsübergabe zu beschränken waren, und der Anlehnung an eine machtvolle Staats- oder Kirchenorganisation. In der Zeit vor der Säkularisation, besonders während des Absolutismus, hatten Kirchenbeamte weitgehende Funktionen und Aufgaben von Staatsbeamten, was sich in dem geistlichen Kurfürstentum Köln stärker auswirken mochte als anderswo etwa in weltlichen Territorien. Kirchenbeamte
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hatten deshalb für die lokale Entwicklung eine Schlüsselposition. Sie war keineswegs bloß passiver Natur, sondern sie hatte oft eine durchaus aktive Rolle; denn ungeachtet der (religionspolitischen) Ereignisse zwischen Reformation und Säkularisation über drei Jahrhunderte blieb die Familien-Amtstradition lebendig.

Die Geschichte der Pfarrerfamilie Simonis-König verdient auch deshalb besondere Beachtung, weil ihr Hauptbetätigungsfeld, Esbeck, eine exponierte Lage hatte. Es gehörte zu den nördlichsten Pfarreien des ehemaligen kurkölnischen Westfalen. Es lag in unmittelbarer Nachbarschaft zum halb lippischen, halb preußischen Lippstadt und in Grenznähe zu den Fürstbistümern Paderborn und Münster. Zeitweilig war Esbeck nicht nur territoriales, politisches Grenzgebiet, sondern es bildete auch reformationspolitisch einen Vorposten des kurkölnischen Katholizismus.


II
Die Geistlichen und Juristen des Simonis-Geschlechts in Anröchte und Mellrich 

Aus einem Aktenstück des Jahres 1540 stammt die älteste schriftliche Nachricht über die Pfarrerfamilie Simonis in Anröchte (St. Pankratius) 1. Sie betraf einen Vertrag zwischen Anröchte und Effeln über eine Wiese unter dem "Temmberg" und erwähnt: "Nach dem Absterben des Herrn Johannes Simonis hat Herr Göddert sein Sohn die Wiese gewonnen" 1. — Die Bezeichnung "Herr" weist Vater und Sohn als Geistliche aus, zumal die Wiese zu Kirchenbesitz gehörte. Offensichtlich war Göddert seinem Vater im Pfarramt nachgefolgt.

Johannes Simonis soll um 1535 die Reformation in Anröchte eingeführt haben, was aber nicht nachweisbar ist. Nicht einmal die Zeit seines Amtsantritts ist bekannt. Möglicherweise war er mit Johann de Brune aus Gent identisch, der auch den Beinamen "Johannes Simonis" hatte und auf Luthers Weisung 1532 Soest reformierte 2. Brune mußte jedoch schon im Oktober 1534 wieder die Stadt verlassen, weil er im Verdacht der Wiedertäuferei stand (infolge seiner Herkunft aus dem wiedertäuferischen Gent oder seiner vermuteten Verwandtschaft mit dem Wiedertäufer Menno Simonis). Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Sollte Brune unter seinem Beinamen "Johannes Simonis" um 1535 in Anröchte Zuflucht gefunden haben?

1 Stille, Franz, Anröchte – Dorf und Pfarrei im Wandel der Zeiten, Lippstadt 1937, S. 158 (Das Aktenstück wurde von Pfarrer Johannes Berens (1806 –1874) überliefert, der es "abgeschrieben – hat – aus den Akten des Gemeindearchivs zu Anröchte").
2 Schulte, Anna, Geschichte der Reformation in Anröchte – die Pfarrerfamilie Simonis in Anröchte, ungedr. Manuskript, S. 2, 5, 94, 97. Vgl. Schröer, Alois, Die Reformation in Westfalen – der Glaubenskampf einer Landschaft, Band 1, Münster 1979, S. 372 – 391.
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— In Lippstadt und Umgebung (Geseke, Erwitte und Anröchte) hatte die Reformation schon seit längerem sich ausgebreitet. Ihre ersten Ansätze begannen bereits um 1525, als zwei Lippstädter Augustinermönche soeben ihr Studium in Wittenberg beendet hatten und nach Westfalen zurückgekehrt waren. Seit 1530 näherte sich auch der Kölner Erzbischof Hermann von Wied, zu dessen Territorium damals Anröchte gehörte, der Reformation und unterstützte sie bald darauf auch offen und energisch.

Die äußeren Zeitumstände lassen eine reformatische Tätigkeit des ersten Simonis-Pfarrers vermuten, wie sie etwa von der mündlichen Ortstradition 3 behauptet oder in der Literatur 4 gelegentlich mit seiner Vaterschaft begründet wird. Freilich war die Nachkommenschaft von Priestern im 16. Jahrhundert keine ungewöhnliche Erscheinung. "Die Protokolle der bischöflichen Visitationen, die in Auswirkung des tridentinischen Konzils (1545 — 1563) in allen Fürstentümern . . . zum Teil mehrfach durchgeführt wurden, beweisen, daß die Mehrzahl der Geistlichen aller Rangstufen im Konkubinat oder in echter Ehe lebten" 5.

Johannes Simonis muß nach dem überlieferten Aktenstück vor/um 1540 gestorben sein. Nachfolger im Pfarramt wurde sein Sohn Godefriedus (Göddert) Simonis. Dieser Name taucht bis 1583 noch wiederholt auf. Aus dem zeitlichen Zusammenhang und dem Anlaß der jeweiligen Erwähnung entsteht der Eindruck, daß es sich stets um ein und dieselbe Person handele. Möglicherweise waren es aber auch wieder Vater und Sohn.

Am 17.4.1561 investierte der Soester Official als Archidiakonal den Priester Gottfried Symons aus Anröchte mit der Pfarrei in Berge (St. Michael) 6. Die Kirche in Berge unterstand damals dem Patronat der mächtigen, protestantischen Edelherren von Büren. Deshalb ist eine reformatorische Tätigkeit des Gottfried Symons sehr wahrscheinlich. Kurze Zeit darauf wurde Gottfried Symonis, Prediger zu Berge, von den Patronen und Provisoren der Bruderschaft "Unserer Lieben Frau" zu Anröchte als Vikar präsentiert 7.

3 Schulte, a.a.O., S. 1 f, 97 f. Simons, Wilhelm, Simons, in: Deutsches Geschlechterbuch, 5. westfälischer Band, bearb. v. Helmut Strehlau, Einzeldruck der Stammfolge Simon, Limburg/Lahn 1975, S. 21.
4 Stille, Anröchte, a.a.O., S. 158.
5 Steinbicker, Clemens, Das Beamtentum in den geistlichen Fürstentümern Nordwest¬deutschlands im Zeitraum von 1430 – 1740, in: Beamtentum und Pfarrerstand 1400 – 1800, Büdinger Vorträge 1967, hrsg. v. Günter Franz i.A. d. Ranke-Gesellschaft Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben und des Instituts zur Erforschung historischer Führungsschichten (Band 5: Deutsche Führungsschichten der Neuzeit). Limburg/Lahn 1972, S. 137.
6 Stille, Anröchte, a.a.O., S. 159. Simons, Simons, a.a.O., S. 22. (Godfried Symons aus Anröchte wurde von Meynolf von Büren als weltlichem Herrn präsentiert.) Fahne, Anton, Die Dynasten, Freiherren und jetzigen Grafen von Bocholtz, Beitrag zur alten Geographie, Rechts-, Sitten- und Culturgeschichte des Niederrheins, Band 1 – Abtheilung 1: Geschichte der verschiedenen Geschlechter Bocholtz und die alten Zustände am Niederrhein, Köln 1863, S. 114 (Urkundensammlung betreffend den "Sitz Berge" Nr. 4).
7 Stille, Anröchte, a.a.O., S. 190.
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Es läßt sich vermuten, daß dieser Priester Simonis mit dem (Sohn? oder) Enkel von Pfarrer Johannes Simonis identisch war. — Eine Urkunde vom 22.2.1556 betraf einen Rentenkauf zwischen Johann von Graffen zu Anröchte und Göddert, Arndt, Pancratius, Walpurg Simonis und deren Mutter Margreth. Die Rentenzahlung sollte ein Diedrich Simonis ausführen 8. Gelegentlich wird behauptet, daß es sich hier um die Ehefrau und die Kinder von Pastor Johannes Simonis handelte 9.

Der Reformationsversuch unter Kurfürst Hermann von Wied endete mit dessen Absetzung 1546. Seine (nächsten) sechs Amtsnachfolger regierten jeweils nur kurze Zeit, während der eine zaghafte Gegenreformation einsetzte, die religionspolitische Situation jedoch unentschieden blieb. Im Jahre 1582 versuchte der Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg erneut, das Kurstift Köln der Reformation zuzuführen und in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln. Da er im Rheinland erfolglos blieb, versuchte er sein Glück in Westfalen. Gemäß seinem Religionsedikt von 1583 sollten zum Beispiel Prädikanten für die Ausbreitung der neuen Lehre sorgen. Zu ihnen gehörte seit 9.10.1583 Godefriedus Simonis als Prädikant, bzw. Pfarrer von Anröchte 10. Als Prädikant sollte Simonis die Kirche mitverwalten und die neue Lehre nach der Augsburgischen Konfession verbreiten. Wie lange er in diesem Amte tätig blieb — ob etwa über die Truchseßschen Wirren (1583/84) hinaus, ist nicht bekannt.

In den folgenden Jahrzehnten erscheinen wieder Personen mit dem Namen Simonis in Kirchenämtern, zum Beispiel als Kirchenprovisoren 11. Sie mußten das Kirchenvermögen verwalten. Jeweils zum Jahresende legten sie dem Pfarrer, den übrigen Provisoren und dem Vertreter des Erzbistums einen Rechenschaftsbericht vor.

Aus Anröchte stammen auch einige Juristen mit dem Namen Simonis, die wahrscheinlich zur Verwandtschaft der Priesterfamilie gehören. 1574 wurde zum Beispiel "Jürgen Simons" 12 als Richter des benachbarten Robringhausen erwähnt. In einem Tauschvortrag von 1581 wurde er als "Richter zu An 

8 Simons, Simons, a.a.O., S. 22. Vgl. auch: Westfälische Schatzungs- und Steuerregister, Band 2: Die Schatzungsregister des 16. Jahrhunderts für das Herzogtum Westfalen, Teil 1: Die Register von 1536 und 1565, nach Vorarb. v. Frenn Wiethoff, hrsg. v. Reinhard Oberschelp u. Mitw. v. Helmut Richtering, Veröffentlichungen der Histori¬schen Kommission Westfalens: XXX, München 1971, S. 57 f ("Dirich Symons").
9 Simons, Simons, a.a.O., S. 22. Schulte, a.a.O., S. 7, 94.
10 Kleinsorgen, Georg von, Tagebuch des Gebhard Truchseß, Münster 1780, S. 185. Laut Dr. A. Schulte war Godefriedus Simonis ein Enkel von Pastor Johannes Simonis; vgl. Schulte, a.a.O., S. 8 f, 99. Dechant Stille vermutet in ihm einen direkten Sohn von Johannes Simonis, den 1540 im Aktenstück erwähnten "Göddert Simonis"; vgl. Stille, Anröchte, a.a.O., S. 159.
11 1611 war ein "Gert Simonis" Anröchter Kirchenprovisor. Als Waldemeinsprovisoren sind "Jürgen Simonis" für 1612 und 1613, sowie "Henrich Simonis" für 1623 und 1624 bekannt. 1613 war "Gerdt Simonis" Anröchter Kirchenpächter; vgl. Stille, Anröchte, a.a.O., S. 238, 250, 275.
12 Stadtarchiv Soest, Hs V 39/S. 489.
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röchte" bezeichnet 13. Er war mit Elisabeth Frederichs, der Tochter des Bürgermeisters Johann Frederichs aus Meschede vermählt 14. — Unter den Söhnen von Jürgen Simonis wurde Heinrich Simonis, Notar und Licentiat der Rechte, 1612 in Soest Neubürger, wo er bald wegen vieler Prozesse u.a. am Reichskammergericht bekannt war 15 . Für seinen Umzug in die Stadt mögen sicher die unsicheren Verhältnisse auf dem Lande von Bedeutung gewesen sein; denn im Rahmen der Gegenreformation nach den Truchseßschen Wirren sorgten die spanische und die niederländische Soldateska für erhebliche Unruhe, unter der besonders die Orte mit Reformationsanhängern zu leiden hatten. Das protestantische Soest bot dem Juristen sicher bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, als das (inzwischen wieder) "katholische" Anröchte. Auf dem Lande war ein Jurist oder Notar ohnehin oft noch wegen des kärglichen Unterhalts gezwungen, zugleich das Amt des Küsters oder Lehrers zu übernehmen 16.

In den folgenden Jahrzehnten lassen sich noch Heiraten der Simonis-Familie feststellen, die aber spätestens 1688 dort erloschen war 17. Statt dessen sind in dem nur ca. 2,4 km entfernten Pfarrort Mellrich (St. Alexander) um 1678 bis 1698 die Eheleute "Ludimagister Simonis" und Anna, geb. Luther überliefert, von denen in den folgenden Generationen die Esbecker Pfarrer Simonis-König stammen. Mellrich sollte über mehr als ein Jahrhundert für die Familie Simonis-König eine besondere Rolle haben, was noch zu zeigen ist.

In Mellrich war bereits 1574 Jürgen Simonis als Richter des Gogerichts Robringhausen tätig gewesen. Dieses Gogericht erstreckte sich über die fünf Dörfer des Kirchspiels Mellrich (Clieve, Waltringhausen, Altenmellrich, Robringhausen und Uelde). 1597 wurde es von Kurfürst Ernst von Lüttich (1583 — 1612) mit dem Patrimonialgericht des Hauses Eggeringhausen vereinigt, das künftig die Rechtssprechung für das Kirchspiel Mellrich wahrnahm. Die "Herrschaft Mellrich" und das "Haus Eggeringhausen" waren damals in der Hand der katholischen Herren von Ketteler, so daß die Vereinigung der beiden Gerichte (Robringhausen/Mellrich und Eggeringhausen) als politischer Akt der Gegenreformation deutlich wird.

Mellrichs Bedeutung als ein Zentrum der Gegenreformation verstärkte sich später noch, als 1603 Graf Johann von Rietberg und Ostfriesland das Haus Eggeringhausen und die Herrschaft Mellrich erwarb. Er war anfangs protestantisch, dann aber, um seine Nichte Sabina Catharina, die Erbin der Grafschaft Rietberg zu heiraten, zur katholischen Kirche übergetreten. Er galt bald als

13 Fahne, Dynasten, a.a.O., S. 112 (Urkundensammlung betreffend die "Herrlichkeit Mellrich", Nr. 47).
14 Simons, Simons, a.a.O., S. 23. Laut Dr. A. Schulte soll Richter Jürgen Simonis ein Enkel von Pastor Johannes Simonis und Sohn des Pfarrers Göddert Simonis gewesen sein; vgl. Schulte, a.a.O., S. 99 f.
15 Simons, Simons, a.a.O., S. 26 ff.
16 Steinbicker, Beamtentum, a.a.O., S. 129.
17 Vgl. Kirchenarchiv St. Pankratius, Anröchte. Simons, Simons, a.a.O., S. 23.
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ein militanter Exponent des Katholizismus, der insbesondere der grenznahen Reformation im Paderborner Fürstbistum mit Gewalt ein Ende bereitete. 1699, in der Zeit der Mellricher Simonis-Familie, gelangten Mellrich und Eggeringhausen an den österreichischen Grafen Maximilian Ulrich von Kaunitz, der die Erbtochter Ernestina als 12jährige heiratete.

Im Zuge der Gegenreformation wurden auch die tridentinischen Reformen in der Kirchenbuchführung durchgeführt, so daß die Generationsfolge der Simonis-Familie in der späteren Zeit sicher bestimmt werden kann. Die erwähnten Eheleute Simonis (-Luther) in Mellrich sind als Eltern von vier Töchtern (Maria, Anna, Anna Margaretha und Katharina) und des Esbecker Pfarrers Heinrich Simonis überliefert. Zweifellos waren sie Anhänger der Gegenreformation, zu der es damals zumindest in der geistlichen Laufbahn wohl keine Alternative mehr gab.

Der Ehemann Simonis hatte wahrscheinlich durch seine Heirat mit Anna Luther die Lehrerstelle ("Ludimagister") in Mellrich erhalten, die je nach Umständen (zum Beispiel der Anzahl der Bewerber) kombiniert war mit den Ämtern des Küsters oder des ländlichen Notars. In Mellrich war schon 1623 ein Küster mit dem Namen Godefriedus Luther angestellt18. Später taucht der Name, teils in latinisierter Form, unter Küstern der benachbarten Pfarrei Anröchte (wieder) auf 19.

In der Regel werden die einzelnen Personen unter dem Namen Simonis, soweit sie in Anröchte oder der Umgebung erscheinen, stets zu einem Verwandtschaftskreis gewiesen 20, obwohl die Generationsfolge in vielen Fällen

18 Stille, Franz, Aus der Geschichte der Herrlichkeit und des Kirchspiels Mellrich, Lippstadt 1935, S. 84; Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Gen.Vic.Archiv, Handschrift XVIII b 1, S. 374.
19 Von 1678 bis 1707 wurde Johannes Caspar Sprenger als Küster in Anröchte genannt, dessen Nachfolger ein "Lutter" (später "Lotharius") war. Als Lutter 1733 starb, folgte ihm sein Sohn Johannes Heinrich Lotharius im Küsteramt, dessen Nachfolger 1765 der Schwiegersohn Johannes Niemand wurde; vgl. Stille, Anröchte, a.a.O., S. 195 f.
20 Schulte, a.a.O., S. 1 ff, 91 ff. Simons, Simons, a.a.O., S. 23. Stille, Anröchte, a.a.O., S. 158 f. Vogt, Arnold M., Beiträge zur Familienkunde Vogt (-Brinkmann), Rüthen, Münster 1975, S. 31 ff, 42.
In diesem Zusammenhang sind jene Versuche bemerkenswert, die Ehefrau des "Ludimagister Simonis", Anna Luther, als eine direkte Nachfahrin des Reformators Martin Luther zu identifizieren. Dazu waren Anhaltspunkte in der mündlichen Tradition der Anröchter Gegend gegeben (nach Ansicht von H.J. Stienemeyer war "Luther" eine protestantische "Literatenfamilie"; vgl. Schreiben von Doz. Dr. Hubert C.M. Vogt vom 17.4.1971), die sich aber nicht überprüfen ließen. Vgl. Clasen, Martin, Das neue Luther-Nachkommenbuch 1525 – 1960, hrsg. i. A. d. Lutheriden-Vereinigung e.V. d. M. Clasen, bearb. von Ludwig Schmidt, Band 3: Ahnen und Enkel-Sammlung von Ahnen- und Nachkommenlisten (Neue Folge der Ahnenreihen aus allen Deutschen Gauen, 4 Bände 1928 – 1944, hrsg. von H.F. v. Ehrenbrook, K. Förster, K.E. v. Marchtaler, bearb. v. Friedrich Wilhlem Euler), Limburg/Lahn 1960, S. 286: Über Todeszeit und -ort von Anna Luther, einer Enkelin des Reformators und über ihre Nachkommen ist nichts sicheres bekannt. 1596 sind sie und ihr Ehemann Nikolaus Marschall d.J. ("aus dem Hause Bieberstein") zwar noch im Arnsfelder Kirchenbuch erwähnt; anschließend jedoch lassen sich keine sicheren Nachrichten finden!
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im strengen genealogischen Sinne nicht nachweisbar ist. Wenn auch die Namensgleichheit an sich noch kein hinreichender Anhaltspunkt für den verwandtschaftlichen Zusammenhang der genannten Personen Simonis ist, so deuten doch nach den damaligen Umständen schon die vielen Kirchenämter auf die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Denn "es lag in der Natur der damaligen Zeit, daß jeder Beamte bestrebt sein mußte, seine Amtsnachfolge einem möglichst nahen Verwandten zu sichern. Das diente auch der Versorgung der Familie, wenn er selbst nicht mehr unterhalten konnte. Vielfach wanderte die Stelle auch mit der Hand seiner Witwe an den Amtsnachfolger weiter, wenn die Ehe nicht von langem Bestand gewesen war. Geeignete Mittel zur Erhaltung des Amtes waren rechtzeitige Resignation des Amtes zugunsten eines Verwandten, wenn man das Ende nahen fühlte, oder Erwirkung einer Ekspektanz, wenn der Sohn noch nicht herangewachsen war" 21.

Ein weiterer Gesichtspunkt, der für die Verwandtschaft von Anröchte und Mellricher Simonis-Linien spricht, ist das Wappen des aus Mellrich gebürtigen Esbecker Pfarrers Heinrich Simonis. Es ist leider nur in einem einzigen Exemplar 22 überliefert, das durch eine Blase nur schwer erkennbar ist. Neben einer theologisch-biblischen Deutung des Wappenbildes 23 (Hahn nach links) ist auch der gekrönte Rabe nach links als Bild denkbar 24. Dieses Wappen mit dem Raben erscheint auch auf einem Grabstein der Briloner Propsteikirche, wo die Schwester Walpurg des erwähnten "Notarius Anruchtensis Henricus Simonis" aus Anröchte begraben wurde" 25.

Wie sehr die Anhäufung von (juristischen oder geistlichen) Kirchenämtern und die familiäre Amtstradition, mit denen vorwiegend die Verwandtschaft zwischen Mellricher und Anröchter Simonis-Linien begründet wird, auf das

21 Steinbicker, Beamtentum, a.a.O., S. 130.
22 Erzbistumsarchiv Paderborn, Archivband 141 "blau" Esbeck/Eslohe, vol. 9. Eine Photographie des Siegels wurde wiedergegeben in: Vogt, Arnold M., Die Geschichte des Vogt-Hofes in Ehringhausen und seiner Bewohner – vom 17. Jahrhundert bis zur Bauernbefreiung Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Geseker Heimatblätter, 37. Jahrgang, Nr. 227 (Juli 1979).
23 Vgl. Anm. Nr. 30.
24 Vogt, Vogt-Hof, a.a.O., Anm. Nr. 32. Vgl. Schreiben von Wilhelm Simons vom 15.5. 1979.
25 Walpurg Simonis war die Ehefrau des Bürgermeisters von Brilon, Hermann Scharffe, der 1616 starb und zusammen mit seinen beiden Ehefrauen bestattet wurde. Der Grabstein, den sein Sohn Conrad Scharffe "zu Ehren und christlichen Gedächtnis seines lieben Vattern" anbringen ließ, zeigte zwei Hauszeichen und das Simoniswappen in der Reihenfolge der Bestattungen: neben dem Bürgermeister liegen nämlich seine beiden Frauen, "Prima uxor L.W., altera W.-alpurg- S.-imonis"; vgl. Michels, Paul, Alte Grabtafeln in der Pfarrkirche zu Brilon, in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung, Band 2, 1939, S. 102 ff; Staatsarchiv Münster, Manuskript VII 5907 (Seibertz-Aufzeichnungen).
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Mellrich-Esbecker Pfarrergeschlecht Simonis-König zutreffen, mag für die quellenmäßig besser erschließbare Zeit insbesondere am Beispiel der Blutsvikarie St. Barbara (1711/1725 — 1846) gezeigt werden.


III
Die Pfarrerfamilie Simonis-König in Mellrich und in Esbeck 

1) Pastor Heinrich Simonis

Ludimagister Simonis war vor/um 1696 wahrscheinlich schon gestorben; denn am 1. April dieses Jahres wurde sein Sohn Heinrich Simonis, begleitet von der Mutter Anna Simonis, geb. Luther, in Esbeck (St. Severinus) als Pfarrer eingeführt 26. Damit begann für mehr als zwölf Jahrzehnte eine stärkere beruflich-soziale und bald darauf auch verwandtschaftliche Bindung zwischen den beiden Kirchspielen Mellrich und Esbeck, die nur etwa 15km voneinander entfernt liegen. Dies zeigte sich zum Beispiel an der Nepomukverehrung, zu deren ersten westfälischen Zentren Mellrich gehörte. Sie hat ihren politischen und dynastischen Hintergrund in der erwähnten Heirat des österreichisch-mährischen Grafen Maximilian Ulrich von Kaunitz mit der Erbtochter Ernestina Gräfin von Rietberg und Ostfriesland, wodurch auch Mellrich in seinen Besitz gelangte. Dort wurde fortan der böhmisch-mährische Heilige Nepomuk besonders nach dessen Seligsprechung 1721 als Patron verehrt. Simonis übernahm diesen Heiligenkult aus seinem Geburtsort auch schon sehr früh 27. Aus dieser Zeit stammen noch viele erhaltene Standbilder, die im Zeichen der Gegenreformation u.a. zur Frömmigkeitserneuerung errichtet wurden.

Als Simonis 1696 das Pfarramt antrat, fand er eine völlig verwilderte und verwahrloste Kirchengemeinde vor. Mit dem neuen Pastor begann für das Kirchspiel auch die Gegenreformation, wie sie durch eigene Aufzeichnungen des Pfarrers geschildert wurde 28. Er selbst bezeichnet sich als "pastor a finibus

26 Schreiben von Dr. Cohausz (Erzbistumsarchiv Paderborn) vom 2.5.1979.
27 Eine Nepomukstatue von 1725 steht noch heute vor dem Schloß Eggeringhausen. Aus Esbeck ist ein Nepomuk-Betstock von 1736 erhalten; vgl. Johannes von Nepo¬muk — Variationen über ein Thema, Katalog zur Ausstellung (des Adalbert-Stifter-Vereins München und des Museums Höxter-Corvey i. Zusammenarb. m. d. Landesdenkmalamt Westfalen-Lippe Münster) in Schloß Corvey/Weser vom 22.7. — 1.10. 1973 anläßlich der Jahrtausendfeier des Bistums Prag, München, Paderborn, Wien 1973, S. 54, 59 ff, Übersichtskarte. Zu den dynastischen, religionspolitischen Zusammenhängen, insbesondere zur Vereinigung der Gerichte Robringhausen/Mellrich und Eggeringhausen — vgl.: Herberhold, Franz, Aus der Geschichte des Kirchspiels Mellrich, in: 60 Jahre Spar- und Darlehnskasse Mellrich, Münster 1959; und Scherl, Hermann, Die Grafschaft Rietberg unter dem Geschlecht der Kaunitz, unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungsgeschichte (1699 — 1822), phil. Diss., Innsbruck 1969, S. 14 ff, 379 ff.
28 Diese Aufzeichnungen von Simonis müssen wohl den Neubau der Pfarrkirche von Esbeck betreffen oder sie sind gelegentlich über die Kirchenbücher verteilt. Eine "Pfarrchronik", wie sie laut den Genealogen Josef H. Stienemeyer und Spiritual Carl Michels (gest. 1967) noch existieren sollte, ist im Erzbistumsarchiv Paderborn nicht bekannt (laut Schreiben von Dr. Cohausz vom 18.4.1979). Als die Kirchenbücher noch nicht in Paderborn zentral erfaßt waren, war das Esbecker Pfarrarchiv nur schwer zugänglich (Schreiben von Herrn Erich Finke, Landgericht Paderborn, vom 8.4.1976). Meine Arbeiten mußten sich lange Zeit auf die Gewährsleute Stienemeyer und Michels stützen, deren Ergebnisse im wesentlichen übereinstimmten (vgl. Vogt, Beiträge a.a.O., S. 1, 35, 54, 154, 211, 216 f, Bilds. 3, 7). Merkwürdigerweise konnten Angaben über Ereignisse, die durch die sogenannte "Pfarrchronik" von Pastor H. Simonis angeblich überliefert worden seien, bisher stets durch Kirchenbucheintragungen o.ä. bestätigt werden.
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acatholicorum" 29, was seine kämpferische Haltung bezeugt. In diesem Sinne könnte auch sein bereits erwähntes Wappen interpretiert werden. Allerdings ist eine exakte Deutung wegen der Beschädigung des einzigen überlieferten Exemplars nicht möglich. Außer einem gekrönten Raben nach links, wie oben bereits dargestellt wurde, könnte es auch einen Hahn nach links enthalten. Dieses Bildmotiv wäre dann als eine theologisch-selbstkritische Anspielung an den Namenspatron von Pfarrer Simonis: den Apostel Simon Petrus dem Neuen Testament entnommen worden 30.

Simonis bemühte sich nachdrücklich um die Pflege der vernachlässigten Besitzverhältnisse. Alte Lagerbücher schrieb er teils neu auf oder ließ sie am sicheren Ort aufbewahren 31. Von Memorienspenden erweiterte er den Landbesitz der Kirche. Äußerlich fand Simonis' gegenreformatorische Wirksamkeit ihren auffallenden Ausdruck in dessen reger Bautätigkeit.

Hohen Verdienst erwarb er sich mit der Neuerrichtung der Pfarrkirche — nach damaligem Brauch weitgehend aus eigenen Mitteln. Sie mochte nach außen hin die Erneuerung des kirchlich-religiösen Lebens demonstrieren. Das alte Gebäude war infolge häufiger Kampfeinwirkung besonders während des 30jährigen Krieges (1618 — 1648) wiederholter Zerstörung ausgesetzt und baufällig geworden 32. Ähnlich verhielt es sich mit der Kapelle des Dorfes Dedinghausen, deren Neubau aus dem Kapellenfond, bzw., wo dieser nicht ausreichte, durch den Zuschuß des Pastors betrieben wurde 33. Die Dörfer Dedinghausen, Rixbeck und Esbeck bildeten zusammen eine Kirchspielgemeinde. Dedinghausen hatte mit dem Köni(n)g-Hof und der neuen Kapelle für die Pfarrerfamilie Simonis-König besondere Bedeutung.
Die Neuerrichtung von Kirchenbauten auch unter Einsatz eigener finanzieller Mittel sind ein typisches Beispiel für das vorsäkulare und vorindustrielle

29 Erzbistumsarchiv, Band 141, a.a.O., vol. 9.
30 In der biblischen Leidensgeschichte Jesu verleugnet Simon Petrus seinen Herrn (vgl. Mt 26, 29 ff, Mk 14, 66 – 72; Lk 22, 56 – 62; Jo 18, 15 – 27).
31 Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 38.
32 Die von Simonis neuerrichtete Pfarrkirche wurde schon unter Pastor Aloys Hellinger (1818 – 1878) mit dem Nachlaß von Pfarrer Johannes Berensmeier (1818 – 1869) abgerissen und durch einen Neubau ersetzt: die heutige Kirche. Durch eine zeitgenössische Severinus-Statue wurde aber das äußere Erscheinungsbild der von Simonis gebauten Kirche festgehalten: vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 36 f, Bilds. 2; Vogt, Vogthof, a.a.O.
33 Mathey, Friedrich, Kleine Kirchengeschichte der Filiale Dedinghausen, in: Fest¬schrift zum 100jährigen Jubelfest am 21., 22., 23. Juli 1973, Schützenverein Dedinghausen, hrsg. v. Schützenverein Dedinghausen, Lippstadt 1973, S. 103.
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kirchliche Amtsbewußtsein, das von Begriffen zum Beispiel der Kleinfamilie, der modernen Arbeitsteilung oder etwa der Unterscheidung von privaten und öffentlich-amtlichen Interessen oder -Vermögen noch völlig unberührt war. Erst in diesem Zusammenhang werden die Hochzeiten der Schwestern von Pastor Heinrich Simonis verständlich, die keineswegs zufälligen Charakters waren, vielmehr die weitere soziale Entwicklung der Mellrich-Esbecker Pfarrerfamilie mitbegründeten. Die neuen verwandtschaftlichen Bindungen, die Pastor Simonis den Hochzeiten seiner Schwestern verdankte, deuten denn auch auf ein sicher nicht beiläufiges, sondern, wie es scheint, bewußt geplantes Heiratssystem. Dieses System konnte sich in den folgenden zwölf Generationen erhalten und mochte einerseits der familiär-verwandtschaftlichen Versorgung u.a. mit Kirchenpachten oder -ämtern (Pfarrstelle in Esbeck, die von Simonis 1725 neugegründete Blutsvikarie St. Barbara, Lehrer, Küster usw.), andererseits zumindest anfangs quasi als ein Mittel der Gegenreformation dienen. — Es verwundert hier auch nicht, daß die von Pfarrer Simonis gegründete Bruderschaft zum Beispiel vorwiegend Verwandte betraf. Die Bruderschaft organisierte das Dorfschulwesen und gewährleistete das kirchlich-religiöse Leben. In diesen Zusammenhang gehören auch einige Stiftungen von Verwandten 34.

Heinrich Simonis hatte vier Schwestern:
1. Maria blieb am Geburtsort Mellrich und war dort mit Johannes Hoffherr verheiratet. (Aus ihrer Nachkommenschaft stammten drei der insgesamt neun Esbecker Geistlichen);
2. Anna folgte ihrem Bruder als Haushälterin nach Esbeck;
3. Anna Margaretha heiratete am 11.11.1703 den Erben des Heidmann-Hofes in Esbeck, Johannes Heidmann;
4. Katharina (gest. am 25.3.1715) war am 30.1.1703 mit dem Hoferben des König-Hofes in Dedinghausen, Johannes Köni(n)g vermählt. Er heiratete in zweiter Ehe am 15.7.1715 eine Schwägerin seiner ersten Frau, Anna Katharina Heidmann. (Aus seiner ersten Ehe stammten in den folgenden zwei Generationen die beiden nächsten Amtsnachfolger von Pastor Heinrich Simonis als Pfarrer von Esbeck).

Da die beiden nächsten auf Pastor Simonis folgenden Pfarrer von Esbeck vom Dedinghauser Köni(n)g-Hof stammen, soll die weitere Entwicklung des Pfarrergeschlechts Simonis-König mit einem Teil der Hofgeschichte verdeutlicht werden. Aus der Ehe der Katharina Simonis mit Johannes Köni(n)g haben fünf der neun Kinder das Kindesalter überlebt:

34 Sehr viele Memorienstiftungen von Verwandten; u.a. Orgelstiftung von Anna Simonis, der Schwester und Haushälterin von Pfarrer Heinrich Simonis; vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 39.
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1. Johannes Bernhard (1705 — 1783), Inhaber des Familienbeneficiums als Vikar ad Stam. Barbaram, Pfarrer von Esbeck und Gründer einer Familienstiftung für arme Waisen;
2. Johannes Theodor (1708 — 1769) heiratete die Erbtochter des Remmers-Hofes in Dedinghausen;
3. Anna Margaretha (1709 — 1737) heiratete den Küster Heinrich Stracke, der wiederum in zweiter Ehe am 16.11.1738 die Schwägerin seiner ersten Frau, Elisabeth Gertrud Remmers heiratete 35.
4. Johannes Stephan (1711 —1793) war zu Liesborn mit der Hoferbin Christina Steinhoff vermählt. Deren Sohn Ferdinand Antonius König, genannt Steinhoff (1754 — 1828) wurde der zweite Amtsnachfolger von Pastor Heinrich Simonis,
5. Heinrich Severinus (1714 — 1767), Inhaber des Familienbeneficiums St. Barbara, d.h. Nachfolger seines Onkels als Esbecker Vikar.

Als die Mutter Katharina König, geb. Simonis, am 25.3.1715 starb, hatte der Hof noch keinen sicheren Erben. Der Vater Johannes König heiratete deshalb kaum vier Monate später, am 15.7.1715 die Schwägerin seiner ersten Frau: Anna Katharina Heidmann. Aus dieser Ehe stammen drei Kinder, von denen jedoch nur der Sohn Johannes Everhard (1719 — 1801) heranwuchs. —Als der Vater Johannes König am 3.12.1722 starb, heiratete die Witwe Anna Katharina König, geb. Heidmann am 13.2.1723 schon erneut: Franz Muhs aus Hörste. Von ihnen wurde ein Sohn, Gottfried Everhard, geboren. — Nach dem Tod des zweiten Ehemannes am 10.2.1725 heiratete die Witwe bereits am 21.4.1725 ein drittes Mal: Kaspar Mettener aus Norddorf, deren Tochter Katharina Elisabeth (1728 — 1806) den Hof später erben sollte. Auch der dritte Ehemann verstarb sehr früh am 13.7.1730. Daraufhin vermählte sich die Witwe Anna Katharina Mettener, geb. Heidmann, verw. König, verw. Muhs am 2.11.1730 noch einmal mit Johannes Kaspar Koch 36.

Die häufigen Heiraten in jeweils kurzem Zeitabstand sind angesichts der Erfordernisse des damaligen Hoflebens zu verstehen. Der Hof hatte seinen Besitzern vielfältige Arbeiten und Pflichten auferlegt. Die Bäuerin war zu sehr mit bäuerlichen Hausarbeiten beschäftigt, als daß sie auch gleichzeitig das Feld bestellen oder gar sich handwerklichen Arbeiten hätte widmen können. Es bedurfte eines Bauern, wenn der Hof nicht als herrenlos gelten und von der Dorfbevölkerung gemieden werden sollte.

Der Heiratskreis, der durch die Hochzeiten der drei Schwestern von Pastor Heinrich Simonis auf die Höfe Hoffherr (Mellrich), Heidmann (Esbeck)

35 Der Sohn der Eheleute Stracke (-Remmers), Nikolaus Stracke, war auf dem Remmershof in Dedinghausen als Lehrer tätig. Er heiratete 1771 Anna Maria Hasse, die Witwe des verstorbenen Johannes Theodor König, genannt Remmers; vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 41 ff, 46, 52 ff.
36 Kirchenarchiv St. Severinus Esbeck; vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 44 f.
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und König (Dedinghausen) eröffnet wurde, sollte auch in der Folge beachtet werden und zum Beispiel in der 3. bis 4. Generation von den Kindern des Ehringhauser Vogthofes (Pfarrei Störmede / St. Pankratius) wieder geschlossen werden. Zwischen 1764 und 1781 erscheinen nämlich die Kinder der Eheleute Vogt (-Schlömer) ausschließlich in der kognatischen Simonis-Linien 37. Bemerkenswert in dieser Vogt-Generation ist auch die Hochzeit von Katharina Maria Vogt 1777 mit dem Esbecker Küster Johannes Theodor Koch, genannt Bals (wahrscheinlich aus der Verwandtschaft des Dedinghauser König-Hofes). In dieser Zeit lebten zugleich zwei vom Vogthof gebürtige Tertiarinnen im Kloster Nazareth in Störmede 38. Dies mag beispielhaft die Anhäufung von Kirchenämtern in der Verwandtschaft der Familie Simonis-König verdeutlichen.

Hochzeiten von Geschwistern, wie zum Beispiel der Kinder der Eheleute Vogt (-Schlömer), im engeren Verwandtschaftskreis, waren eine häufige Erscheinung, die der möglichst geschlossenen Sicherung von Besitz- und Erbschaftsansprüchen innerhalb eines engen Familienkreises diente. In diesem Zusammenhang wird das oft generationstiefe "Untereinanderverwandtsein bestimmter Gesellschaftsschichten des Adels oder des Hofbesitzes eines alten Bauerndorfes" 39 in "nicht einmal . . . örtlich eng zu ziehenden Grenzen" 39 verständlich. Der Grad genealogischer Integrationsdichte wurde häufig sogar zum sozialen Wertmesser einer Familie, was besondere Bedeutung hatte im Hinblick auf die fortwirkende mittelalterliche Vorstellung von den gottgewollten und von der Kirche geheiligten Standesverhältnissen.

Der Nachweis von vielen Kirchenämtern (Pfarrer, Kapläne, Nonnen, Lehrer, Küster etc.) in einer (bäuerlichen) Familie oder in deren enger Verwandtschaft ist ein wichtiges Kriterium für ihre soziale Einordnung. Hier wirkte sich aber ebenso aus, daß die Erzbischöfe von Köln als Herzöge von Westfalen in

37 Der Urenkel von Anna Margaretha Simonis, Stephan Anton Sudhoff, Erbe des Heidmann-Hofes in Esbeck, heiratete 1821 die Witwe Theresia Sporck-König, geb. König-Pottgüter, eine Enkelin der Eheleute Vogt (-Schlömer); ihr Großvater, Bernhard König war außerdem ein Schwager von Katharina Simonis gewesen; zwei Enkelinnen von Katharina Simonis, die Erbtochter des Remmers-Hofes in Dedinghausen, Angela Maria König, genannt Remmers, und deren Schwester, Anna Maria König, genannt Remmers, heirateten 1769 im Rahmen sogenannter "Tauschheiraten" zwei Söhne der Eheleute Vogt (-Schlömer): Johannes Bernhard Franz Vogt und Johannes Heinrich Vogt, genannt Schmies; die Schwester von Vikar Augustinus Hoffharr, eine Urenkelin von Maria Simonis, Anna Maria Catharina Elisabeth Hoffherr heiratete 1781 den Hoferben Franz Adam Vogt, Sohn der Eheleute Vogt (-Schlömer); vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 24 ff, 42 f; Vogt, Vogthof, a.a.O.
38 Stadtarchiv Arnsberg (landständisches Archiv), Schatzungsregister, vol IV A 10/3 1759 Eringhausen; Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 28; Vogt, Vogthof, a.a.O.; Wahle, Walter, Ehringhausen, in: Geseker Heimatblätter Nr. 214, Januar 1978.
39 Mitgau, Hermann, Geschlossene Heiratskreise sozialer Inzucht, in: Deutsches Patriziat 1430 – 1740, Band 3: Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit, hrsg. v. Günter Franz i.A. der Ranke-Gesellschaft Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Limburg/Lahn 1968, S. 2.
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Mellrich, Esbeck oder Störmede auch die Landesherren waren. Sie bewirkten besonders mit dem Beginn des absolutistischen Zeitalters als Träger der politischen Landesmacht und -gewalt und als Angehörige des Hochadels ein auf sich bezogenes gesellschaftliches Geltungssystem. Die kirchen-/behördlichen Ämter enthielten also einen Abglanz politischer, gesellschaftlicher und kultureller Herrlichkeit des kurfürstlichen Erzbistums. Ein Priester in der eigenen Familie bedeutete für die bäuerliche, von der Säkularisierung noch völlig unberührte Bevölkerung folglich (oft die einzige Möglichkeit für) sozialen Aufstieg, hohes Ansehen oder die Hebung des familiären Bildungsniveaus. Denn die erzieherische Tätigkeit der verwandten (reichen) Pfarrer und Kapläne konnte sich nicht bloß in Taufpatenschaften erschöpfen, sondern sie schloß auch die Unterweisung im Lesen und Schreiben ein. Die Pfarrer und die "Gebildeteren" unter den Bauern konnten zum Beispiel die Forderungen der Grundherren besser und wirkungsvoller auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen als die bäuerlichen Analphabeten.

Laut Clemens Steinbicker ist der "Übergang aus bäuerlichem Familienkreis unmittelbar in Beamtenschaft . . . am schwersten nachzuweisen; wenn überhaupt, so war dies nur aus der obersten bäuerlichen Schicht, aus den Schulten- und Meierhöfen möglich" 40. Dies trifft wohl auch für das Bauerngeschlecht König in Dedinghausen zu. Sprechen einerseits die vielen Pfarrer und Kapläne 41 für sich, so weisen zum Beispiel auch die Schatzungsregister insbesondere der Jahre 1717, 1760 und 1783 dem Könighof dort die erste Stelle zu 42 . In diesem Zusammenhang kann auch der Heiratskreis Simonis-Heidmann-König-Sporck erwähnt werden, in dessen Verwandtschaft jener Graf Johann von Sporck (1601 — 1679) gehört, der durch hervorragende militärische Leistungen während des 30jährigen Krieges von Kaiser Ferdinand III. 1647 aus dem Bauern- in den Freiherren-, später auch in den Grafenstand erhoben wurde 43.

2) Die Inhaber der Esbecker Blutsvikarie St. Barbara

Mit einer Blutsvikarie, die der heiligen Barbara geweiht war, schuf Pastor Heinrich Simonis am 16.1.1725 eine interessante Versorgungsstelle für seine Familie, d.h. für die Nachkommen seiner Schwestern 44. Das Familienbene- 

40 Steinbicker, Beamtentum, a.a.O., S. 141.
41 Siehe Seite 8 ff.
42 Stadtarchiv Arnsberg, a.a.O., vol. IV A 7/1717; 13/1760; 12/1760; 26/2 1783; Dedinghausen; vgl. Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 48 f.
43 Laumanns, Carl, Er unterzeichnete als "Sporck, Graf" — das Lebensbild des bedeutendsten Reitergenerals seiner Zeit — vom Bauernsohn zum Reichsgrafen, in: Heimatblätter, Lippstadt 44. Jahrgang, Folge 6, März 1963, S. 21 ff.
44 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 6 f (Fundationsprotokoll); vgl.: Linneborn, Johannes (Bearb.), Inventar des Archivs des Bischöflichen Generalvikariates zu Paderborn, hrsg. v. d. Historischen Kommission der Provinz Westfalen, Beiband II, 1 (Regierungsbezirk Minden/Archiv des Bischöflichen Generalvikariates in Paderborn), Münster 1920, S. 214, Band 141.
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ficium St. Barbara wirkte auch als ein Anreiz für die geistliche Laufbahn von Angehörigen, die im einzelnen hier näher erläutert werden soll.

Gemäß einem Zusatzvermerk des Stifters vom 23.10.1740 sollte der Bewerber der Blutsvikarie die folgenden Bedingungen erfüllen 45:
— den Nachweis der Tonsur;
— die Verwandtschaft mit dem Stifter;
— die Zustimmung des jeweiligen Pfarrers von Esbeck (, der wohl in der Vorstellung des Stifters stets dessen Familie angehören sollte);
— keine gleichzeitige Investitur anderer Vikarien oder sonstiger Ämter; (Während einer Vakanz mochte dennoch ein ehemaliger Inhaber, wie zum Beispiel später Pfarrer Wiese, oder ein sogenannter "Patron" die Einkünfte der Vikarie genießen. Der Titel "Patron" ist allerdings nur für Vikar Augustinus Hoffherr nachgewiesen 46.)

Zu den Pflichten des Vikars gehörte die sonntägliche Primmesse und jeden Freitag ein zusätzliches Gedächtnis für das Seelenheil des Stifters 47. Außerdem sollte er wohl den dörflichen Schulunterricht leisten 48.

Die finanziellen Verhältnisse der Vikarie waren meist sehr belastet. 1769 zum Beispiel beklagte Pfarrer Johannes Bernhard König die infolge Krieg und Wirtschaftsmisere angegriffenen Verhältnisse, weshalb er einen Bewerber ablehnen wollte 49. Aus späteren Einnahme- und Lastenvergleichen sticht der notdürftige bis mittelmäßige Zustand des Vikariegebäudes hervor 50.

1

Der erste Inhaber des Familienbeneficiums, Heinrich Hoffherr, stammte aus Mellrich, dem Geburtsort des Stifters. Er wurde von seinem Onkel, dem Stifter Pastor Heinrich Simonis präsentiert. Die Bestallung erfolgte unter dem 23.3.1725 51.

2

Auf Hoffherr folgte schon am 10.10.1728 dessen Vetter, Johannes Bernhard König als neuer Vikar in Esbeck 52. Bis zu seiner Amtseinführung als Pfarrer am 13.9.1736 half er seinem Onkel, Pastor Simonis, in den Amtsgeschäften. Um 1769, als sein Bruder (Vikar Heinrich Severinus König) starb, und kurz

45 Erzbistumsarchiv Paderborn, a.a.O., vol. 11, Band 141.
46 Erzbistumsarchiv Paderborn, a.a.O., vol. 17, 20 f, Band 141.
47 Erzbistumsarchiv Paderborn, a.a.O., vol. 18, Band 141.
48 Siehe Anm. Nr. 47.
49 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 13 f.
50 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 13 ff, 20 f.
51 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 9 f.
52 Kirchenarchiv St. Severinus, Esbeck.
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nach der freiwilligen Resignation des Pfarramtes zugunsten seines Neffen Ferdinand Antonius König, genannt Steinhoff am 30.4.1780 hat er wohl jeweils kurze Zeit die Vikarie übernommen.

Sein Siegel verdient besonderes Interesse, weil es die Namensinitialen seines Onkels : "H" und "S" enthält 53. Dies belegt zusätzlich die Autorität und die enge Verbundenheit des Pfarrers Simonis mit dessen Neffen und Amtsnachfolger. Das hohe Ansehen, das Simonis bei seinen Angehörigen genoß, war sicher ein Grund für die langjährige Dauer der familiären Amtstradition. Simonis mochte eine beispielhafte Wirkung auf seine Verwandten haben. Immerhin führte Johannes Bernhard König die Reihe der meist von seinem Onkel gegründeten (Familien-) Stiftungen fort. Am 2.4.1783, nur wenige Tage vor seinem Tode, verfügte er testamentarisch Landbesitz zu einer Familienfundation. Die Pachterträge, die aus diesem Land (noch heute 5,41 ha) erzielt wurden, sollten für "arme Waisen" 54 aus der "Familie" des Stifters verwandt werden.

Als König am 23.4.1783 im Alter von 78 Jahren starb, erhielt er zwei Tage später ein ehrenvolles Begräbnis neben dem Marienaltar in der von seinem Onkel errichteten Esbecker Pfarrkirche 55.

3

Der Stifter Heinrich Simonis soll 1736 freiwillig auf sein Amt als Pfarrer verzichtet und bis 1740 das von ihm gegründete Familienbenificium als Titularpfarrer innegehabt haben. Die letzten Jahre bis zu seinem Tod am 7.4.1743 konnte er wohl aus eigenem Vermögen bestreiten 56.

4

Heinrich Severinus König, ein Neffe des Stifters, wurde in Paderborn (Abdinghof) zum Priester geweiht und wirkte in Esbeck als Vikar bis zu seinem Tod am 5.3.1767 57.

53 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., voL 12 (Bestätigung von Pfarrer J.B. König vom 7.5.1743 für einen Zusatzvermerk des Stifters); eine Photographie des Siegels wurde wiedergegeben in: Vogt, Vogthof, a.a.O.
Die Familienstiftung untersteht der Aufsicht des Amtsgerichts in Lippstadt (Geschäfts-Nr. Gen V 28) und der Verwaltung des jeweiligen Pfarrers von Esbeck (vgl. Staatsanwaltschaft Paderborn, Geschäfts-Nr. 13 Js. 267/76). Die Grundbücher im Amtsgericht Geseke bestimmten den Einheitswert der 5,41 ha Ackerland in der Geseker Flur mit DM 4.920,— (Bestand 1972/73) bei einem Ertragswert vom DM 1.030,—. Laut Auskunft des Amtsgerichts Lippstadt vom 20.2.1974 werden DM 800,—erwirtschaftet. Anträge von Stiftungsbewerbern sind zu richten an: Königsche Familienstiftung bei der Katholischen Kirchengemeinde St. Severin, Simonisstraße 6, 4780 Lippstadt-Esbeck.
54 Grundbuch des Amtsgerichts Geseke, Blatt 1551, Bestandsverzeichnis 1.
55 Kirchenarchiv St. Severinus, Sterberegister 1783, S. 5.
56 Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 39.
57 Kirchenarchiv St. Severinus, Sterberegister 1767 (Band 1).
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5

Im Gegensatz zu den vom Stifter festgesetzten Bedingungen 58 durfte Johannes Christoph Wiese, seit ca. 1768 Pfarrer von Bökenförde (St. Dionysius) noch über den 12.1.1769 hinaus die Vikarie besetzen, bis ein neuer Bewerber auftreten mochte 59. Pfarrer Wiese war zuvor auch Vikar am Rüthener St. Anna-Beneficium gewesen. Er starb unter dem Ruf eines "großen Marienverehrers" 60 am 9.6.1802 in Bökenförde.

6

Im Jahre 1769 trat schon ein neuer Bewerber auf, der oben erwähnte Ferdinand Antonius König, genannt Steinhoff, der sich in Geseke auf sein Studium vorbereitete, d.h. noch kein Geistlicher war, aber von seinem Vater vorgeschlagen wurde 61. Der damalige Pfarrer J.B. König wünschte aber, wegen der desolaten Finanzverhältnisse der Vikarie den Antrag zunächst abzulehnen.

Tatsächlich aber muß die Investitur von Steinhoff 1769 nach dem Examen dennoch erfolgt sein, wie es jedenfalls in seinem "Curriculum vitae" 62 behauptet wird. Demnach wurde er am 14.8.1754 in Liesborn geboren, in Esbeck — unter der Aufsicht seiner (geistlichen) Verwandten — erzogen. Ein Jahr verbrachte er im Priesterseminar in Köln und am 20.3.1779 wurde er zum Priester geweiht. Die Approbation für die Seelsorge fand in Arnsberg statt. Schon seit dem 30.4.1780 war er Pfarrer von Esbeck. Er soll nach mündlicher Überlieferung noch eigenhändig die Ackerwirtschaft betrieben haben und verstarb am 3.1.1828.

7
Der aus Mellrich (1.1.1768) gebürtige Augustinus Hoffherr wurde nach dem Schulbesuch in Geseke, Studien in Paderborn und Köln am 1.9.1793 zum Priester geweiht und trat am 1.1.1793 bereits die Esbecker Vikariestelle an 63. Seit dem 6.11.1798, nach der entsprechenden Ausbildung an der Normalschule in Arnsberg, war er Schulvikar in Mellrich und resignierte in Esbeck. Er blieb dort aber als "Patron", u.a. auch als häufiger Taufpate tätig.

58 Siehe Anm. Nr. 45.
59 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 12.
60 Kirchenarchiv St. Dionysius, Bökenförde, Kirchenbuch 2, Sterberegister 1802.
61 Siehe Anm. Nr. 49.
62 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 24 f; vgl. Liese, Wilhelm, Necrologium Paderbornense, Totenbuch Paderborner Priester (1822 – 1930), Paderborn 1934, S. 528.
63 Liese, Necrologium, a.a.O., S. 278; vgl. Stille, Mellrich, a.a.O., S. 136. Im Gegensatz zu den Mellricher Kirchenbüchern und zu Liese hat Hoffherr in den Vikarieakten ausschließlich den Vornamen Antonius. Seit dem 75. Lebensjahr erhielt er für den Schulunterricht einen Gehilfen, den Küster Heinrich Drepper.
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Zu seiner Zeit wurde auch die Mellricher Pfarrkirche neugebaut, die ihre heutige äußere Gestalt der gemeinsamen Initiative des ersten Oberpräsidenten der preußischen Provinz Westfalen, Freiherrn von Vincke und Pfarrer Johannes Theodor Herbst verdankt 64. An der Einweihung der neuen Kirche am 27.11.1846, nur wenige Tage vor Hoffherrs Tod, nahmen außer ihm noch viele andere aus Mellrich gebürtige Priester teil, unter denen der bedeutendste der Paderborner Fürstbischof Dr. Johann Franz Drepper (1787 — 1855) war. Er entstammte einer Familie, die das Mellricher Küsteramt seit 1777 innehatte. Seine geistliche Laufbahn soll hier näher geschildert werden, weil Drepper ein Zeitgenosse des letzten Esbecker Vikars, Prof. Dr. Augustinus Pilgrim war. Sie führte Drepper als Vikar durch das ehemals kurkölnische Sauerland: nach Belecke und Arnsberg, wo er zugleich am Gymnasium unterrichtete. 1817 war er für ca. fünf Jahre Pfarrer von Mülheim. Als Domkapitular lehrte er in Paderborn zur Exegese des Neuen Testaments und in der Dogmatik. Einen Ruf an die Universität Bonn lehnte er ab. Drepper wurde am 11.1.1845 der neue Bischof von Paderborn, gehörte der Frankfurter Nationalversammlung als Deputierter an (das Mandat erhielt er von der Versammlung der deutschen Bischöfe in Würzburg). Er wurde weiterhin bekannt durch die Gründung des Paderborner Knabenseminars (1846), durch seinen Einfluß auf Pauline von Mallinkrodt zur Gründung der Genossenschaft der Schwestern der christlichen Liebe (1849), sowie durch die Gründung des heute weithin ausgebauten Bonifaciusvereins für die Diasporaseelsorge 65.

Bereits einen Tag nach der Konsekration der neuen Mellricher Pfarrkirche, am 28.11.1846, sollten die Firmung und das 50jährige Pristerjubiläum von Augustinus Hoffherr gefeiert werden. Sie verdienen besondere Beachtung, weil sie die Atmosphäre und das Milieu veranschaulichen, in denen Priester der kognatischen Mellricher Simonis-Linie aufgewachsen sind. — Nach der Firmung wurde der Priesterjubilar Hoffherr vom Fürstbischof aus dem Pfarrhause zur Jubilarfeier abgeholt und mit einer schönen Geste geehrt: der Fürstbischof überreichte seinem ehemaligen Dorfschullehrer den Pilgerstab und eine Krone. Die Festpredigt hielt der ebenfalls aus Mellrich gebürtige Ostinghauser Pfarrer Leifert. Er würdigte die Schultätigkeit und seine große Schülerzahl, aus der viele prominente Priester hevorgegangen seien, namentlich der Paderborner Fürstbischof und zwei von Hoffherrs Neffen (Prof. Dr. A. Pilgrim, Peter Josef Gremm(l)er) 66.

Hoffherr, der während der Novemberfeiern trotz seines hohen Alters von beinahe 79 Jahren noch sehr rüstig schien, starb nur wenige Tage später, am 16.12.1846. Sein Grabdenkmal (zusammen mit Pfarrer Herbst und Kaplan Anton Henkelmann) ist auf dem Mellricher Friedhof noch erhalten.

64 Vogt, Beiträge, a.a.O., S. 119 ff, Bils. 14; Stille, Mellrich, a.a.O., S. 60 ff.
65 Stille, Mellrich, a.a.O., S. 163 f.
66 Stille, Mellrich, a.a.O., S. 69; vgl. Liese, Necrologium, a.a.O., S. 222 (Peter Josef Gremm(l)er war ebenso schon am 1.3.1842 als Vikar an St. Elisabeth in Rüthen gestorben.)
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8

Am 7.10.1802 fand die Investitur für Jacob Leopold Bolte statt 67. Aber schon am 6.9.1816 resignierte er zugunsten von Augustinus Hoffherr 68; denn auch für Bolte, wie für vier seiner sieben Vorgänger, war die Vikarie "nur" eine Durchgangsstelle zu einer Pfarrei. Er wurde der neue Pastor in Allagen (St. Johannes Bapt.), wo er in der Nacht vom 16. auf den 17.12.1841 verstarb 69.

9

Augustinus Pilgrim wurde am 21.4.1799 in Mellrich geboren 70. Nach dem Schulbesuch in Geseke und Amsberg 71 wurde er von seinem Onkel als "Patron" der Esbecker Blutsvikarie präsentiert 71 (Anstellung: 18.12.1827). Pilgrim muß sich schon früh während seines Studiums in Bonn und Münster ausgezeichnet haben, denn laut seinem Esbecker "Curriculum vitae" wurde er auf höhere Weisung zu anderen Universitäten geschickt" 72, obwohl er "noch kein Priester, sondern Kandidat der Theologie" war 72. Zu seinen Studienaufenthalten gehören auch Wien und Tübingen. Er schloß sich der katholischen "Tübinger Schule" an, namentlich dem Apologeten Johann Sebastian Drey und dem Orientalisten Andreas Benedikt Feilmoser 0.S.B. 73, denen Pilgrim wesentliche Anregung und Ermunterung verdankte. Mit dem Trierer Theologen Gotthard Braun war er eng befreundet.

Während seiner Alummnenzeit (seit Oktober 1823) betrachtete er den katholischen Pädagogen Bernhard Heinrich Overberg als Vorbild 74. Am 6.4.1824 wurde er in Münster zum Priester geweiht 75, wo er, abgesehen von kurzer Lehrtätigkeit in Würzburg, sein wissenschaftliches Studium fortsetzte. Einen Ruf an die Bonner Universität lehnte er ab 75. Nach der Promotion wirkte er

67 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 15.
68 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 16.
69 Kirchenarchiv St. Johannes Baptist, Allagen, Kirchenbuch Nr. 9, Sterberegister 1841, S. 86, Nr. 21.
70 Kirchenarchiv St. Alexander, Mellrich, Kirchenbuch Nr. 4, Taufregister 1799, S. 114: von späterer Hand vermerkt: "Der Täufling war Vikar in Esbeck, ordiniert 1824. Ging von Esbeck nach Münster"; vgl. Liese, Necrologium, a.a.O., S. 601.
71 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 17.
72 Erzbistumsarchiv Paderborn, Band 141, a.a.O., vol. 24 f. Pilgrim erhielt für sein Studium ein Staatsstipendium; vgl. Hegel, Eduard, Geschichte der Katholischen Theologischen Fakultät Münster 1773 – 1964, Heft 30: Münsterische Beiträge zur Theologie, begr. v. Franz Diekamp und Richard Stapper, fortgef. v. Hermann Volk, hrsg. von Bernhard Kötting und Joseph Ratzinger, Band 1, Münster 1966, S. 174; Band 2, Münster 1971, S. 65.
73 Esser, Wilhelm, Oration Funebris ad Celebrandam Memoriam Viri Venerabilis et Doctissimi Augustini Pilgrim . . .‚ Münster 1827, S. 20 f; Nachruf in: Theologische Quartalsschrift, Tübingen Band 9/1827, S. 387.
74 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 23.
75 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 25. Mit der Priesterweihe in Münster war Pilgrim "dieser Diözese inkardiniert worden" (Hegel, Kath.-Theol. Fakultät, a.a.O., Band l, S. 225), obwohl er aus dem Paderborner Bistum gebürtig war.
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als Privatdozent, als Repetent für Theologie und orientalische Wissenschaften. Mit dem Münsteraner Philologen und Exegeten Johannes Hyazinthus Kistemaker, ein ehemaliger Mitschüler und Freund Overbergs, arbeitete er zusammen 76. — Beide Persönlichkeiten (Kistemaker und Overberg) gehörten zum Kreis der Fürstin Amalie von Gallitzin, des ehemaligen Ministers Franz von Fürstenberg 77 und des späteren Erzbischofs von Köln, Clemens August, Freiherr von Droste-Vischering, um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Mit Overberg und Kistemaker wurde Pilgrim auch mit dem christlich-humanistischen Gedankengut der Münsterschen "familia sacra" vertraut, wie dieser Kreis auch genannt wurde. — Kistemaker war Direktor des Münsterschen Gymnasiums Paulinum, wo Pilgrim zeitweilig auch in Hebräisch unterrichtete 78. Seit dem 6.11.1826 wirkte er als ordentlicher Professor.

Wer nach dem Einfluß und der Bedeutung Pilgrims innerhalb des Mellrich-Esbecker Verwandten- oder Theologenkreises fragt, wird nur wenige direkte Hinweise finden. Der Theologieprofessor Wilhelm Esser hob in der Leichenpredigt hervor, daß Pilgrim während seiner Krankheit, kurz vor dem Tode (31.7.1827) die Nähe seiner Verwandten in Liesborn suchte, dem Geburtsort des Esbecker Pfarrers F.A. König, genannt Steinhoff 79. In Mellrich erhielt er die Sterbesakramente und — so Esser — von seinem Bruder (wahrscheinlich sein Halbbruder: Vikar Peter Josef Gremmler) Zuspruch und Trost beim Rezitieren aus dem Johannesevangelium 80. - Wenn der aus Mellrich gebürtige Pastor Leifert in der erwähnten Festpredigt (zum Priesterjubiläum von Vikar Hoffherr 1846), zwei Jahrzehnte später noch den allzu frühen Tod Pilgrims beklagte, so mag darin mehr als eine bloße höfliche Floskel liegen — in Anwesenheit von mehr als 20 Geistlichen mit dem ebenso aus Mellrich stammenden Paderborner Fürstbischof Dr. theol. J.F. Drepper an der Spitze.

Pilgrims tiefe Verwurzelung im religiösen Glauben und der wissenschaftlichen, theologischen Tätigkeit ist auch durch das Klagelied bezeugt, das sein Kollege, der Kirchenmusiker Franz Neuhaus komponierte:
     "Schweiget bange Klagelieder,
     Ach — das Grab gibt uns nicht wieder, 
     was es furchtbar raubt!
     Trost für uns in unserm Kummer 
     Ist: er hat geglaubt.
     Schnöder Sinnenlust entwunden 
     War er ganz an Pflicht gebunden, 
     Jesu treu bis in das Grab,
     Schlummre sanft in heilger Ruh' 
     Dem Erstehungsmorgen zu!" 81

76 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 28.
77 Bergenthal, Josef, Alte und neue Universitäten in Westfalen, Münster 1971, S. 35 ff.
78 Siehe Anm. Nr. 76.
79 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 35.
80 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 35 f.
81 Esser, Leichenpredigt, a.a.O., S. 6.
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Mit Pilgrim starb der letzte Inhaber der Vikarie St. Barbara aus der Stifterfamilie. Nur ein halbes Jahr darauf, am 3.1.1828, verstarb auch der letzte Esbecker Pfarrer der Familie Simonis-König (F.A. König, gt. Steinhoff).


IV
Zusammenfassung: Zur Rekrutierung des Priesternachwuchses aus der ländlichen Bevölkerung

Pastor Heinrich Simonis (? — 1743) darf sicher als der einflußreichste Vertreter seiner Familie bezeichnet werden. Seine Amtseinführung bedeutete für das öffentliche, politische und kirchliche Leben einer der nördlichsten Grenzgemeinden im kurkölnischen Herzogtum Westfalen, Esbeck, eine einschneidende Zäsur. Er verhalf der katholischen Kirche in Esbeck und darüber hinaus zu neuer, dauerhafter Lebenskraft (Regelung und Stabilisierung der kirchlichen Besitzverhältnisse, geregelte Gottesdienstordnung, Bautätigkeit usw.). Dank seines Vermögens konnte er seiner Familie mit dem Familienbeneficium, der Blutsvikarie St. Barbara einen interessanten Anreiz für die geistliche Laufbahn schenken. Wenn auch die finanziellen Verhältnisse der Vikarie oft sehr beschränkt waren, so konnte sie doch als Anlauf-, Vorbereitungs- oder Durchgangsstelle zum Beispiel zu mancher Pastorat (Esbeck, Allagen, Bökenförde) dienen.

Die familiäre Amtstradition hatte eine mehr als 100jährige Lebensdauer. Der Schwerpunkt, bzw. das Hauptbetätigungsfeld war Esbeck mit der dortigen Familienvikarie und der Pfarreistelle, die von 1696 bis 1828 stets vom Onkel an den Neffen vergeben wurde. Neben Esbeck war Mellrich als Geburtsort von vier der neun Esbecker Priester (Simonis, Hoffherr und Pilgrim) ein weiterer wichtiger Ort, von wo auch viele Priester anderer, nicht verwandter Familien stammten (Ledert, Drepper).

Der Erfolg von Simonis' Reformarbeit war zweifellos wesentlich begründet in dem sozialen Milieu, das sich im Amtsbewußtsein von Simonis, dessen enger Verbundenheit mit den Familien oder Nachkommen seiner Schwestern, dessen Ansehen in der Verwandtschaft (vgl. Wappen von Pastor J.B. König) oder in den komplizierten Heiratskreisen (zum Beispiel: König-Heidmann-Vogt-Hoffherr) äußerte. Dieses Milieu wurde in seiner Bedeutung für die Berufswahl oder den beruflichen Werdegang der einzelnen Geistlichen bestätigt und mochte angesichts der starren ständischen Gesellschaftsordnung, insbesondere in der staatlich-kirchlichen Beamtenhierarchie eine besonders starke Wirkung haben. Dies zeigt sich auch in der (wahrscheinlichen, wenn auch im strengen Sinne nicht nachweisbaren) Vorfahrenschaft von Pastor Heinrich Simonis, dem Anröchter Simonis-Geschlecht, dem viele Geistliche der Reformationszeit, Juristen und Honoratioren westfälischer Städte (Soest, Meschede, Brilon) entstammen.
Bis zur napoleonischen Zeit war ein Priester bürgerlich-bäuerlicher Herkunft von Regierungsgeschäften oder dem Aufstieg zu höchsten Beamtenstellen
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ausgeschlossen. Er mußte sich in der Regel mit bloßen Exekutiv-, Urkunds- oder Verwaltungsfunktionen bescheiden. Freilich, für die bäuerliche Bevölkerung, dem niedersten Stand, war zum Beispiel eine ländliche Pastorat eine stets erstrebenswerte soziale Aufstiegsposition, deren Wert nach der Säkularisation eher noch anstieg (vgl. hohe Anzahl einheimischer Priester beim Hoffherrschen Priesterjubiläum 1846); denn mit dem Reichsdeputationshauptbeschluß von 1803 verloren die geistlichen Fürstentümer ihre territoriale, politische Grundlage und an Wert für den (Hoch-) Adel, der bisher die wichtigsten kirchlichen Beamtenstellen für sich beanspruchte. Vor diesem Hintergrund ist der steile Aufstieg von Dr. J.F. Drepper zum Fürstbischof von Paderborn nicht verwunderlich, obwohl seine Eltern und Vorfahren sich 100 Jahre (seit 1777) mit der Küsterstelle in Mellrich begnügen mußten. Auch die glänzende wissenschaftliche Laufbahn von Prof. Dr. A. Pilgrim, des letzten Inhabers der Esbecker Blutsvikarie, verdeutlicht in diesem Sinne die Bewegung, die seit der Säkularisationszeit in das kirchliche Beamtengefüge gekommen war.
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