Arnold Vogt
Gefallenengedächtnis in Freckenhorst
Ein Spiegel des öffentlichen Kriegs- und Geschichtsbewußtseins
In beinahe allen Gemeinden des mitteleuropäischen Raumes sind heute
Kriegerdenkmäler oder Mahnmähler zu sehen. Sie fallen im Gegensatz
zu anderen Kunstobjekten durch einen durchweg vorteilhaften, publikumswirksamen
Aufstellungsort auf (zum Beispiel Kirche, Markt, Hauptstraße, Park,
Friedhof) sowie durch ihre Vielzahl und vor allem durch ihre existentiellen,
gesellschaftlich-politischen Aussagen über Krieg, Gewalt und Tod.
Sie leisten mehr als nur künstlerische Landschafts- oder Ortsbildgestaltung.
Mit ihrer aufwendigen, attraktiven Erscheinung sollen sie ein maßgebender
Wegweiser sein bei der Suche nach historischer und politischer Identität,
nach einem Sinn für Leid und Tod von Mitbewohnern der Gemeinde durch
Krieg und Gewalt. Dabei erfährt die Erinnerung an Tote oft eine ideale
»heroische« Färbung, die beabsichtigt ist, um den Überlebenden
ein »Beispiel«, Vorbild und Ansporn zu einem bestimmten Verhalten
zu geben.
Aus diesen Gründen vermitteln politisch-weltanschauliche und künstlerisch-geschmackvolle
Merkmale das einschlägige Denkmalswesen »nur« in Teilaspekten.
Wichtig ist sein Symbolgehalt ebenso hinsichtlich der konstituiven Verankerung
im (unpolitischen) Toten-Brauchtum, auch in kirchlich-religiösen Ausdrucksformen,
zum Beispiel in Totenfeier oder -messe, in Frömmigkeit und kirchlichem
Begräbnis.
Tod und Sterblichkeit bilden Grundfaktoren des menschlichen Selbstbewußtseins
und der Lebensgestaltung schlechthin. Was Menschen gegenüber dem Tod
und den Toten empfinden — Furcht, Zuneigung, Abwehr, Verbundenheit oder
Gleichgültigkeit — wird deutlich im Totenbrauchtum. Es wurzelt im
Volksglauben und ist Ausdruck allgemein-menschlicher Religiosität.
Dies zeigt sich besonders deutlich in der Gegenüberstellung mit Krieg,
Gewalt und Tod, die stärker noch als der natürliche Tod die Fundamente
religiös-gläubiger Zuversicht, das Selbst- und Weltverständnis
in Frage stellen. Diese einschneidende Herausforderung gilt vor allem für
den modernen Kriegsdienst, der seit Anfang des 19. Jahrhunderts als allgemeine
Bürgerpflicht begriffen wird, so daß dem Gefallenengedächtnis
und der Trauer seither das Gebot der öffentlich-politischen Rechtfertigung
und Erklärung aufgebürdet sind. Hinzu kamen die Folgen moderner
Kriegsführung und -technik mit zunehmend höheren, massenhaften
Verlusten, die zugleich das Kriegstotengedächtnis veränderten.
Es löste sich mehr und mehr aus den herkömmlichen Formen der
Sepulkralkultur und unterlag einer systematischen, national-politischen
Ideologisierung. In Grundzügen ist diese Entwicklungstendenz auf beinahe
allen (kommunal)politischen Ebenen sichtbar, so auch in Freckenhorst in
den wechselnden Inhalten und Formen der Gefallenenmäler.
Für die insgesamt »nur« 29 Freckenhorster, die ihr
Leben in den napoleonischen Wirren 1808-11 in Spanien und 1812-18 in Rußland
verloren, wurde noch keine Gedenktafel o. ä. bekannt — im Unterschied
zu anderen Gemeinden in Westfalen. Auch für die 14 Gemeindemitglieder,
die in den »Einigungskriegen« der Jahre 1864, 1866 und 1870/71
zu Tode kamen, wurde in den folgenden Jahren noch kein Denkmal errichtet.
Das Totengedächtnis erfolgte ausschließlich in der regulären,
kirchlichen Totenfeier. Dies änderte sich erst in Wilhelminischer
Zeit (ca. 1888-1914/18), als die Wunden des preußischen »Kulturkampfes«
gegen die katholische Kirche allmählich verheilten und eine generelle
Intensivierung öffentlicher Kriegerdenkmalspropaganda im Deutschen
Reich einsetzte.
1. Das Kriegerdenkmal als national-religiöse Sinnstiftung der
Wilhelminischen Zeit
Im Januar 1889 beschloß eine Interessengemeinschaft Freckenhorster
Bürger die Errichtung eines Denkmals für die Gefallenen der Gemeinde
aus den früheren Kriegen. Die Ausführung wurde dem Warendorfer
Bildhauer Hunkemöller übertragen und aus Sammlungen finanziert.
...
(1 Seite)
2. Die Widmungserweiterung zum »Ehrenmal« im Weimarer
Reich
Im Jahre 1920 erhielt das Kriegerdenkmal bereits eine Widmungserweiterung
für die insgesamt 77 gefallenen Freckenhorster des Ersten Weltkrieges
und der nachfolgenden Kriegswirren. Dazu hob der Warendorfer Bildhauer
Hanewinkel das Denkmal auf eine abgestumpfte Sandstein-Pyramide ...
(1/2 Seite, 1 Abb.)
3. Kriegsgefallenengedächtnis im Zweiten Weltkrieg
Marienfrömmigkeit als Zuflucht in nationalsozialistischer Zeit?
Die Postkarte führte den Blick entlang dem eigentlichen Gedächtnismal
(rechts im Bild) auf eine durch Blumenschmuck und Felskulisse reich ausgestattete
Nachbildung der Marienerscheinung von Lourdes. ...
(1 Seite, 1 Abb.)
4. »Kriegsopfergedenken« als Zeichen des Neubeginns und
der »Mahnung«
— im Schatten der Teilung Deutschlands und der Ost-West-Konfrontation
Nach der nationalsozialistischen Katastrophe und dem Ende des Zweiten
Weltkrieges war die einfache Fortführung herkömmlichen Kriegs-
und Kriegergedenkens zutiefst fragwürdig geworden. In Freckenhorst
wurde die alte Denkmalsanlage aufgegeben und 1951 durch ein neues Projekt
ersetzt ...
(4 Seiten, 1 Abb.)
5. Zusammenfassung – Zur aktuellen Denkmalrezeption: Gefallenengedächtnis
oder -ehrung?
Im Rückblick erweist sich der Zweite Weltkrieg als ein tiefgreifender
Einschnitt des lokalen wie überregionalen Kriegs- und Geschichtsbewußtseins.
Zwar wurde der Aufstellungsort – der Kirchplatz – als Ausdruck des zentralen
öffentlichen Geltungsanspruchs beibehalten. Dagegen erfuhren die inhaltliche
und äußere Konzeption eine grundlegende Änderung. Anstatt
das alte Denkmal aus dem Jahre 1889 durch eine Widmungserweiterung auf
den Zweiten Weltkrieg zu beziehen, wie es 1920 für den Ersten Weltkrieg
geschehen war und auch andernorts nach 1945 praktiziert wurde, beschloß
man eine völlige Neugestaltung. Sie gab den Intentionen des früheren
»Ehrenmals« eine Absage, um dem zeitgenössischen Zweifel
an Krieg, Gewalt und deren Rechtfertigung hervorzuheben.
Gleichwohl gab es Bestrebungen, solcher Skepsis entgegenzutreten. Schon
die Einweihungsfeierlichkeiten 1951 zeigten, daß der »Mahn-«
bzw. »Opfer«-Gedanke, der die Konzeption des neuen Projektes
geprägt hatte, im öffentlich propagierten Verständnis der
Weihe-Ansprachen eine veränderte Bedeutung erhalten hatte. Hinzu kamen
erneute Versuche, den »Ehr«-Begriff weiterhin zu verwenden
– seinen historischen, ideologischen Belastungen zum Trotz. So unterlag
die Denkmalsrezeption einer intentionalen Unklarheit. Bis zur Gegenwart
konkurrieren das konzeptionelle Anliegen des »Opfer«-Gedächtnisses
und das Mißverständnis eines »schlichten Ehrenmals«
miteinander.
21 Anmerkungen
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