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Stand: Mai 2013




























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Ringvorlesung an der Universität Münster:  Historische Identität und Nationalität
 
WN 19.10.1990
links: Karl-Heinz Volkert (DIG), Mitte: Dr. Arnold Vogt, rechts: Prof. Dr. Anneliese Mannzmann

Eike Hennig: Historische Identität und Nationalität
Münster. Prof. Dr. Eike Hennig aus Kassel sprach im Rahmen der Ringvorlesung „Historische Identität und Nationalität", die von der Universität und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft veranstaltet wird, über die Kontinuität der demokratischen Entwicklung im deutschen . Hennig stellte fest, daß Nationalgefühle immer auf ein bestimmtes Gebiet begrenzt sind, die heutigen Probleme aber grenzübergreifend und nur in einem größeren Maßstab zu lösen sind. Als Beispiel nannte er den Umweltschutz, der an Grenzen nicht halt machen dürfe.

Der deutsche Nationalismus entwickelte sich in den Befreiungskriegen aus dem Haß gegen die Franzosen. So wurde die Feindschaft gegen Frankreich Bestandteil unseres Nationalismus' in der Vergangenheit. Neben diesen Auswüchsen verwies der Redner auch auf die demokratischen Traditionen, die sich in Krisensituationen nie durchsetzen konnten und dem Extremismus unterlagen. „Nationalismus muß man glauben," stellte Hennig fest, er läßt sich nicht kritisch hinterfragen.

Prof. Dr. Eike Hennig, Kassel
Prof. Dr. Anneliese Mannzmann, Münster
Dr. Arnold Vogt, Münster



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Westfälische Nachrichten
Nr. 276 vom 28. Nov. 1990
Seite R MS 8
 

Arnold Vogt: Entwicklung der Gedenkstätten

Dr. Arnold Vogt referierte am Mittwoch über „Gedenkstätten als Zeugen sich wandelnder Geschichtsrezeption"
Aus „Gefallenen" und „Kameraden" wurden die „Opfer"
Dr. Arnold Vogt referierte über die Entwicklung der Totengedenkstätten

-mhe- Münster (Eig. Ber.). Ist die öffentliche Erinnerung an die massenhaften Opfer eines Krieges noch zeitgemäß? Kann man durch die Aufstellung von Gedenkstätten überhaupt den Toten und der grausamen Wirklichkeit eines Krieges gerecht werden? „Diese schon häufig gestellten Fragen erscheinen jetzt wegen des Golfkriegs wieder aktueller denn je", meinte Dr. Arnold Vogt am Mittwoch abend in seinem Referat „Gedenkstätten als Zeugen sich wandelnder Geschichtsrezeption", einem Beitrag zur Ringvorlesung „Historische Identität und Nationalität". 
Es sei schwierig, ein Gesamturteil zur Geschichte der Totengedenkstätten abzugeben, dennoch versuche er, mit einem Rückblick eine Zwischenbilanz vorzulegen, erklärte Vogt. Ein umfangreiches Thema, da bereits auf dem Boden der „alten" Bundesrepublik mehr als 100 000 dieser Denkmäler stehen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden erstmals Kriegerdenkmäler in Frankfurt am Main aufgestellt, bei denen auch einfache Soldaten namentlich verzeichnet wurden. Zuvor galten solche posthumen Ehrungen nur Adeligen und Offizieren. Eine preußische Verordnung aus dem Jahr 1813 sah dann die Errichtung von Gedächtnistafeln für alle Kriegsopfer in den Kirchen vor.
Laut offizieller Devise sollten seinerzeit besonders die heldenhaften Taten der Gefallenen deutlich hervorgehoben werden. In der Regel war zudem die Inschrift „Gestorben mit Gott für das Vaterland" abgebildet, so Arnold Vogt.
Unter nationalsozialistischer Schreckensherrschaft wurden vermehrt martialisch geprägte Gedenkstätten errichtet. Vornehmlich habe so die neue militärische Stärke des deutschen Reiches zum Ausdruck gebracht werden sollen.
Einen Schlußstrich unter diese Entwicklung setzten die alliierten Siegermächte. Sie ließen nach 1945 all jene Denkmäler entfernen, die ihnen besonders kriegsverherrlichend erschienen. Mit dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hierzulande ein „neuer Typ" der Gedenkstätten errichtet.
Gefallene wurden fortan nicht mehr als „Kameraden" oder „Helden" bezeichnet, sondern als „Opfer". 
Neueste Projekte würden auch kritische Fragen nach den Realitäten eines Krieges und den individuellen Schicksalen der Gefangenen erheben, erklärte Vogt.

Westfälische Nachrichten, Nr. 27 vom 1. Februar 1991, Seite R MS 3. Foto: -mhe-

Wandel bei den Gedenkstätten

Unter Kaiser Wilhelm II. entstanden viele Denkmäler, auch das Kriegerdenkmal an der Promenade.

Fotos: Wetzel

MWE. Münster. „Kriegsdenkmäler und Mahnmale sollen ein maßgeblicher Wegweiser sein bei der Suche nach historischer und politischer Identität, nach einem Sinn für Leid und Tod von Mitbewohnern der Gemeinde durch Krieg und Terror", beschrieb Dr. Arnold Vogt die Funktion von Gedenkstätten im Rahmen einer Vorlesungsreihe der Universität und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
In der Erinnerung würden die Toten oft heroisiert. Sie sollten den Überlebenden als Beispiel dienen oder ihnen Ansporn geben, so der münstersche Historiker. Dabei trete häufig eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf.
Mehr als 100.000 Denkmäler gibt es allein in der ehemaligen Bundesrepublik. Entwickelt hatte sich das moderne Kriegerdenkmal seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Bis dato galten „nur Fürsten. Herrscher und Generäle als denkmalswindige" Kriegstote. Seit 1813 wurden aufgrund eines Erlasses des preußischen Königs „gemeine" bürgerliche Soldaten Gedächtnistafeln in den Kirchen errichtet, in Verbindung mit dem Eisernen Kreuz. Die toten Krieger wurden jedoch nicht als „Staatsbürger geehrt, sondern als „Söhne", „Helden" oder „Kameraden", so Vogt.
Unter Kaiser Wilhelm II. wurde die Denkmalspropaganda intensiviert, zahlreiche neue Denkmäler entstanden, darunter auch das 1909 in der Promenade enthüllte Kriegerdenkmal der Stadt Münster. Mit der Erinnerung an „die Kriege und Siege, und die Neuerrichtung des Reiches" stelle das von Bernhard Frydag konzipierte Denkmal einen geschichtsverfälschenden Bedeutungszusammenhang zwischen dem 1806 erloschenen „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation", den „Einigungskriegen" und der „Reichsgründung" her, sagte Vogt.
Ab 1872 wurden Kriegstote bestattet, zunächst in Massengräbern, seit dem Ersten Weltkrieg in Einzelgräbern mit Namenstafeln oder -kreuzen.
Für jüdische Bürger waren Kriegerdenkmäler und -gräber oft die einzigen Belege jüdischen Kriegseinsatzes, militärisch vollwertiger Leistungsfähigkeit und national-deutscher Gesinnung.
Die Nationalsozialisten zerstörten jüdische Kriegsdenkmäler und schändeten jüdische Kriegsgräber. Die gesamte Denkmalskultur wurde der nationalsozialistischen Ideologie unterworfen. Statt der christlichen Kirchen sollten die profanen Gemeinden die Errichtung von Gedenkstätten übernehmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ordnete der Alliierte Kontrollrat die Beseitigung aller Denkmäler militärischen und nationalsozialistischen Charakters an. De facto galt dies nur für die zweifelsfreien nationalsozialistischen Objekte und Hoheitszeichen, z. B. das Hakenkreuz. „Kriegsdenkmäler" wurden zu „Mahnmale" umbenannt. Die verschiedenen neuen Objekte unterlagen keiner einheitlichen Konzeption mehr. Viele der Kriegerdenkmäler und Mahnmale bleiben umstritten.
Münstersche Zeitung, Nr. 30 vom 5. Februar 1991, Seite ms 6
 

Sommersemester 1991: Ringvorlesung - Terminplan

HISTORISCHE IDENTITÄT UND NATIONALITÄT
Ringvorlesung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Fortsetzung der Veranstaltungen des vergangenen Semesters

in Zusammenarbeit mit der Stadt Münster, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft — Arbeitsgemeinschaft Münster —, und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster

im Sommersemester 1991

Hohe Aktualität hat das Thema der Ringvorlesung bereits während des Wintersemester 1990/91 gewonnen: Die verwirklichte "nationale Einheit" im Kontext der bevorstehenden europäischen Öffnung, aber auch die neue deutsche weltpolitische Verantwortung angesichts des Golfkrieges und der nicht zuletzt mit "deutscher" Hilfe möglich gewordenen Bedrohung des Staates Israel — all das förderte ein fruchtbares Gespräch im Hochschulbereich und in der Öffentlichkeit.
Historische Identität und Nationalität bedürfen einer angemessenen Reflexion und Neubestimmung hinsichtlich ihrer vielfältigen Ausdrucksformen — von Wirtschaftsweisen, politischen Einstellungen, Mentalitäten, in Gestus und Habitus, in ihren inhaltlichen Profilen ebenso wie in ihrer ethischen Problematik.
Aus diesen Gründen und wegen der Resonanz wird die Ringvorlesung fortgeführt. Im Sommersemester werden wieder verschiedene Ansichten, Disziplinen und politische Erfahrungsfelder zu Wort kommen, um so auch im universitären Bereich jene Unruhe zu erzeugen, die aus Fragen erwächst, die keine Patentlösungen kennen.
Standen bisher Langzeitperspektiven der historischen, nationalen Entwicklung und interkulturelle, vergleichende Betrachtungsweisen zur Minderheiten- und Mehrheitenproblematik im Vordergrund, so werden die folgenden Vorträge vermehrt regionale und lokale Strukturen berücksichtigen, um einen Erkenntnisgewinn auch in der Erfahrungswelt der Beteiligten zu erzielen. Historische Identität wird in ihrer individuellen, aber auch kollektiv-nationalen Brechung sowie im Spannungsverhältnis von rationalen Bewußtseinsstrukturen zu unterschwelligen Irrationalismen erörtert. Die Position zu den deutsch-israelischen Beziehungen und zur deutsch-jüdischen Kultur ist dabei ein besonderes Anliegen: Beispielhaft werden gegenläufige Entwicklungen sichtbar, die gesamtgesellschaftlich aufzuarbeiten sind.
Der heterogene Teilnehmerkreis aus Studenten verschiedener Fachrichtungen und aus "älteren Semestern" (z. B. Angehörige von kulturellen Erwachsenenbildungs-Maßnahmen, Lehrer) ermöglichten bisher eine rege, reflexive Diskussion der Vorträge, die wesentlich durch den fachübergreifenden Charakter der Veranstaltungen gefördert wurde. Das regelmäßige Presseecho verwies darauf, die aktuellen Fragestellungen in kompetenter Verarbeitung zu diskutieren und für den Anwendungsbereich lokaler und regionaler Kulturarbeit zu nutzen. Zu diesem Kulturtransfer tragen besonders auch die Seminar- und Begleitveranstaltungen bei.

Prof. Dr. Anneliese Mannzmann, Universität Münster, Fachbereich Erziehungswissenschaft
Dr. Arnold Vogt, Vorstand DIG Münster; Karl-Heinz Volkert, Vorsitzender der DIG
Pfarrer Jürgen Hülsmann, Vors. d. Ges. f. Christl.-Jüd. Zusammenarbeit Münster

Parallel zur Ringvorlesung ist für Studierende im Hauptstudium der Erziehungswissenschaft ein qualifizierter Scheinerwerb (auch zu schulpraktischen Studien) möglich — im Rahmen eines Seminars über "Lokale und regionale Bewußtseinsbildung für die Eigengeschichtlichkeit von Betroffenen". Die Seminar- und Begleitveranstaltungen bieten Anregungen zu einem vertieften Verständnis der Ringvorlesung.
Dr. Arnold Vogt, Sprechstd.: ab 24. 04. 91 -- 14tägl. mittwochs 17-18 Uhr; in Haus C (Raum V204), Georgskommende 23, 4400 Münster.

Begleitveranstaltungen

17. 04. -01.08.1991 Bücherstand mit einführender Literatur und Informationen in der Universitätsbibliothek Münster (Benutzersaal - "Seminarapparat Mannzmann/Vogt"), Krummer Timpen 3-5, Münster
07. 06. 1991 Besuch der Wewelsburg, Prof. Dr. Karl Hüser, Paderborn Abfahrt: Hindenburgplatz, Busparkplatz, Termin nach Ankündigung
14. 06. 1991 Christliche Identität - Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften Prof. Dr. Raymund Schwager, Innsbruck, Ort: S 8 im Schloß, 18.00 - 20.00 Uhr
21. 06. 1991 Besuch der Nußbaum-Ausstellung im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück, Dr. Karl Georg Kaster, Osnabrück, Abfahrt: Hindenburgplatz, Busparkplatz, Termin nach Ankündigung
6.-7.07.1991 Tagung / Workshop "Woody Allen - ein jüdischer Philosoph? Säkularisierte Religiosität und Identitätssuche in der Filmkunst", Dr. Hans Gerhold, Münster, Dr. Frank Rieger, Hannover, Ort: Franz-Hitze-Haus, Kardinal-von-Galen-Ring 50, 4400 Münster

17.04.1991, Angelika Timm: Erfahrungen aus der ehemaligen DDR
Der Umgang mit der nationalen Geschichte - Erfahrungen aus der ehemaligen DDR
- zwischen Verdrängung und Staatsideologie

Angelika Timm, Berlin, Foto: Westfälische Nachrichten

26.06.1991, Wolfgang Thierse: Gesamtdeutsche Identität

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Wolfgang Thierse (Zweiter von links), wurde gestern von Karl-Heinz Volkert, Wolfdieter Cramer (beide von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft) und Dr. Arnold Vogt begrüßt (von links).
Foto: Hilpert
Münstersche Zeitung, Nr. 148 vom 27.06.1991, Seite ms3

EINEN VORTRAG 
über das Thema „Gesamtdeutsche Identität im Licht der soziokulturellen Entwicklung der ehemaligen DDR" gab gestern abend der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der SPD, Wolfgang Thierse (rechts) im Schloß der Westfälischen Wilhelms-Universität. Mit dem Thierse-Vortrag setzt die Deutsch-Israelische Gesellschaft und die Westfälische Wilhelms-Universität die Ringvorlesung „Historische Identität und Nationalität" fort.

 Foto: Ahlke
Westfälische Nachrichten vom 27.06.1991

SPD-Vize Wolfgang Thierse gestern zur gesamtdeutschen Identität 
Klischees durch Dialoge abbauen

MMW. Münster. „Exit", sagte kürzlich Jens Reich vom Bündnis 90 auf die Frage, was denn aus der friedlichen Revolution im Herbst 1989 geworden sei. In den fünf neuen Ländern droht unterdessen ein weit verbreiteter Katzenjammer in „DDR-Nostalgie" umzuschlagen. Wolfgang Thierse, Bonner Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der SPD, versuchte am Mittwochabend im Rahmen der Ringvorlesung an der Westfälischen Wilhelms-Universität eine kritische Analyse über „Gesamtdeutsche Identität im Licht der soziokulturellen Entwicklung der ehemaligen DDR".
Ausgangspunkt war ein Vergleich mit - Italien! Am Tag der deutschen Vereinigung war einer seiner westdeutschen Freunde aus Mailand angerufen und beglückwünscht worden: „Nun habt ihr ja auch eure Terroni!" So heißen im Sprach gebrauch der arroganten Norditaliener die „plumpen, ungebildeten" Bauern aus dem Süden, und noch heute, 130 Jahre nach der Vereinigung Italiens, ist das „mezzo giorno” nicht überwunden, gibt es zwei Identitäten dort. Wir Deutschen, so Thierse, haben „nur" 45 Jahre unterschiedlicher Geschichte hinter uns, dafür stünden wir unter enormem Problem- und Tempodruck. Die Weichen für die Zukunft würden jetzt gestellt, betonte er. Der Gefahr, daß sich Klischees auf beiden Seiten verfestigen, könne man nur durch Dialog begegnen. Eine Chance läge darin, uns wechselseitig unsere Biografien zu erzählen und der wichtigsten Verpflichtung des nunmehr gemeinsamen Grundgesetzes nachzukommen: gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herzustellen.
Im Westen müsse die Wohlstandsangst vorm Teilen, im Osten die devot-ungeduldige Erwartung von Zuteilungen abgebaut werden. Vor allem die jüngere Generation brauche Hilfe beim Zueinanderfinden, denn sie verstehe am wenigsten, warum 16 Millionen Deutsche den östlichen Partei- und Stasistaat so lange ertragen haben. Diese aber waren in Osteuropa die ersten, die sich 1953 gegen die Diktatur auflehnten! Doch ihre Niederlage „coram publico" liesse sie für Jahrzehnte resignieren. Würden die jungen Leute das begreifen, seien sie zugleich imstande zu verstehen, daß ein Teilen anderer Dimension auf uns wartet: mit Osteuropa und der Dritten Welt.
 


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