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Arnold Vogt
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Alfred Bruns (Bearb.):
Die Tagebücher Kaspars von Fürstenberg
Besprechung / Rezension in:
Westfälische Forschungen, Mitteilungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe,
im Auftrag des Instituts hg. von Karl Teppe, Schriftleitung Karl-Heinz Kirchhoff
38. Band, Münster 1988, ISSN 0083-9027, Seiten 395 - 397
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Arnold Vogt
Alfred Bruns (Bearb.):
Die Tagebücher Kaspars von Fürstenberg
Verlag Aschendorff, Münster 1985. 
Teil I (1572-1599), 818 S., 9 Abb., kart., DM 98,–; Teil II (1600-1610), 792 S., 2 Ktn., kart., DM 98,–.

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Als „eine über Westfalen hinaus einzigartige Quelle“ stellt Alfred Bruns die Tagebücher Kaspars von Fürstenberg (1545-1618) vor (Bd. I, S. 9). Obwohl die Verbreitung von Druckerzeugnissen, überhaupt der Schriftlichkeit im (privaten) Brief- und Aktenwesen noch in den Anfängen, freilich schon in einer sprunghaften Steigerung standen, waren die Aufzeichnungen Fürstenbergs in ihrer Art, insbesondere in ihrer Ausführlichkeit eine Seltenheit. Bruns nennt lediglich eine einzige „zeitliche Parallele“, die Tagebücher des schlesischen Ritters Hans von Schweinichen, „ ... aber für die deutsche Territorial- und Reichsgeschichte vergleichsweise unergiebig“ (S. 9). Dieser Umstand deutet auf eine gewisse Modernität Fürstenbergs, der für die Niederschrift gedruckte, zumeist oberdeutsche Taschenkalender benutzte, darunter der älteste Dortmunder Kalenderdruck aus dem Jahre 1575. Insgesamt 32 Kalender aus den Jahren 1572 bis 1610 sind erhalten. Einige (Titel-)Blätter wurden in den Bildanhang aufgenommen (Bd. I, Tafel II–VII). Es fehlen die Jahre 1573f, 1576ff, 1583 und 1586. Den Verlust vermutet Bruns bereits im 18. Jahrhundert. Die frühere Aufbewahrung der verschiedenen
 

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Kalender „in einer provisorischen Heftung . . . als Vorbereitung zu einem nicht erfolgten Einband“ läßt auf die Absicht schließen, die Aufzeichnungen seien auch für die Nachwelt bestimmt (Bd. I, S. 13). Die sogenannten „Tagebücher“ Fürstenbergs wurden hauptsächlich wochenweise – unter Tagesangaben – geführt und erlauben weitreichenden Aufschluß über seine vielfältigen Aktivitäten, Beziehungen und über seine Persönlichkeit.

Fürstenberg war gebildet (Unterricht bei dem bekannten Dortmunder Beurhaus, Licentiat der Rechtswissenschaften in Köln), bediente sich häufig der lateinischen Sprache und stellte den früheren Aufzeichnungen zu Jahresbeginn sogar ein selbstverfaßtes Gedicht in Latein oder Deutsch voran. Er strebte eine gewisse Systematik an. Am Anfang eines Jahres erwähnt er zum Beispiel die Fürsten, denen er diente, u. a. die Kurfürsten von Köln und Mainz, seit 1585 den Bischof von Paderborn und ein Jahr später auch den Kaiser. Und seit 1591 faßte er zum Jahresende eine Liste der Erwerbungen aus Grundbesitz, besonderen Rechten, Gegenständen, Schmuck usw. zusammen („Was diß jar bekommen . . .“ oder „aquisita dißes jars“ etc.), verbunden mit einer Danksagung an Gott. In diesen sinnfälligen Zusammenhang ordnete er zugleich die Heiraten oder den Pfründenerwerb seiner Kinder. Der Grund-, Pfründenerwerb, (familiäre) Heirats- und Amtsangelegenheiten, wie überhaupt „Politics“, „andere politische, oeconomische und rechtssachen“ (vgl. u. a. Bd. I, S. 389f, 465) verraten die außergewöhnlich umsichtige und ehrgeizige Zielstrebigkeit Fürstenbergs. Die mangelnde Unterscheidung politischer und „privater“ Angelegenheiten entsprach ohnehin dem zeitgenössischen, vorsäkularen, -industriellen Amtsbewußtsein und Lebensgefühl, unberührt von modernen Begriffen der „Privatsphäre“ oder „Öffentlichkeit“. Grundlage seines Denkens, Planens und Handelns war die Familie, d. h. seine Geschwister und Kinder.

In der Tradition seiner Vorfahren, jedoch wesentlich erfolgreicher, war er auf Pfründe-, Ämter- und Gütererwerb zugunsten seiner Kinder bedacht: u. a. attraktive Dechanten-, Domherren-Pfründe für seine geistlichen Söhne in Mainz, Paderborn und Frankfurt, Vorbereitung vorteilhafter Heiraten oder anderweitiger großzügiger „Versorgung“ seiner Töchter – zum Beispiel als Priorinnen in den Klöstern Rumbeck und Überwasser in Münster, insbesondere aber der Ausbau der Besitzungen, Privilegien, Erbansprüche und Beziehungen der Stammlinie Waterlappe. Zu ergänzen waren enge, verwandtschaftliche Beziehungen zu den Geschwistern Kaspars, darunter der älteste Bruder Friedrich als Domherr in Mainz oder der jüngste Bruder Dietrich als Fürstbischof von Paderborn. Auf dem Stammsitz und auf anderswo erworbenen Gütern ließ Kaspar Neubauten errichten und nach dem Zeitgeschmack glanzvoll ausstatten (vgl. Bd. I, S. 317, 368, 399, 415, 453, 465, 617 usw.). Insbesondere aber der notwendige, teils kunstvolle Neubau der Burg Schnellenberg nahm seine Kräfte in Anspruch (Erwerb im Dezember 1594. vgl. Bd. I, S. 584f [Tafel V]). Über die Einkünfte dort wie anderswo führte er eigens moderne Register (vgl. Bd. I, S. 578, 588, 633 u. a.). Über die Motive dieser Anstrengungen gibt eine marmorne, nach seinem Entwurf geschaffene Inschrifttafel auf der Burg Auskunft –in lateinischer und griechischer Sprache –, übersetzt: „ ... Kaspar von Fürstenberg . . . hat diese baufällige und eingestürzte Burg als Lustschloß und seinen Nachfahren zum Andenken an ihn erworben, gewidmet und geschenkt. Fahret fort!“ (Zitat nach Bd. I, S. 9).

Darin wurde seine Absicht festgehalten, familiärem Selbstbewußtsein und Ehrgeiz ein anregendes, beständiges und vorbildliches „Beispiel“ zu geben. Dazu wurde dem Namen des Stifters die imposante Liste seiner politischen und amtlichen Dienste vorangestellt – u. a. als Rat der Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz und Köln, des Fürstbischofs von Paderborn, als Gesandter zu Kaiser und Reichstag, Drost zu Bilstein, Fredeburg, Waldenburg, Fritzlar und Naumburg, auch als Lizentiat der Rechte und Reichsfreiherr im rheinischen Kreis. Was er durch die Inschrift zum Ausdruck brachte, äußerte er in seinen ausführlichen Tagebuch-Aufzeichnungen unter sehr verschiedenen Aspekten – „privat“-familiäre, gesellschaftliche, wirtschaftliche Angelegenheiten, amtlich-politische, diplomatische Verhandlungen, theologisch-wissenschaftliche, konfessionelle Probleme. Gemessen an der Häufigkeit der Erwähnungen, stand er hauptsächlich im Dienst des Kölner Kurfürsten Erzbischof Ernst (von Bayern) und des Paderborner Fürstbischofs Dietrich, seinem Bruder (vgl. Personenindex, Bd. II, S. 461-570). Mit ihnen als entschiedenen und innerhalb des territorialen Machtbereichs (u. a. Lüttich, Köln, Hildesheim, Münster, Paderborn) auch erfolgreichen Vertretern der „Gegenreformation“ stand Kaspar von Fürstenberg in besonderer Verbindung, zumal er bzw. die Fürstenberger Familie stets der „katholischen“ Partei angehörten.

Die jahrzehntelangen, vielfältigen Bemühungen der gegensätzlichen konfessionellen, politischen Kräfte griffen bereits weit über die „nur“ theologischen, übergeordneten reichs- oder militärpolitischen Kämpfe hinaus, in schlechthin alle – auch regionalen Lebensbereiche. Frühere Ansätze eines Ausgleichs wichen zu Lebzeiten Kaspars von Fürstenberg einer Polarisierung und endgültigen Entscheidung. Dabei stellte die „katholische“ Position der Fürstenberger im mehrheitlich protestantisierenden westfälischen Adel und Bürgertum ein Wagnis dar. Leider fehlt der Jahrgang 1583, der sicher auch Aufzeichnungen über die Anfänge der Truchseßschen Wirren enthielt, den letzten Reformationsversuch eines Kölner Kurfürsten. Kaspar von Fürstenberg mußte seinen reichen Familienbesitz und die Ämter im kurkölnischen Sauerland aufgeben – bis zum triumphalen Rückzug im April bis Juni 1584 (vgl. Bd. I, S. 186-195). Der Niederlage des Truchseß folgten
 

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Reformmaßnahmen und der Ausbau des „katholischen“ Einflusses, u. a. das erfolgreiche Engagement Kaspars zur Wahl seines Bruders, des Paderborner Dompropstes Dietrich v. F., zum neuen Fürstbischof ein Jahr später (vgl. Bd. I, S. 230-233). Wegen wiederholter Einfälle niederländischer Truppen in Westfalen — damals eher ein Glacis des niederrheinischen / niederländischen Konflikts — warb er Söldner an zum Schutz seiner Güter.

Die konfessionellen Spannungen, der vorherrschende Protestantismus in Adel und Bürgertum verhalfen der katholischen Adelsfamilie von Fürstenberg zu besonderem Entgegenkommen unter den geistlichen (kur-)fürstlichen Anhängern der „Gegenreformation“ in Rheinland und Westfalen. Unter anderen konfessions- und machtpolitischen Bedingungen wären die außergewöhnliche Ämter- und Pfründenhäufung, vor allem der Paderborner Fürstbischofsthron — bislang dem Hochadel vorbehalten —, dem niederen Adel (der Fürstenberger) unerreichbar gewesen. Kaspar wußte offenbar die Gunst der Zeit zu nutzen, um die sozialen Schranken seiner „niederen“ ständischen Herkunft zu überwinden. Aus diesem Grunde hatte der Erwerb der Burg Schnellenberg, ihr aufwendiger, prachtvoller Ausbau zu einer Residenz, herausragende Bedeutung, weil ihr Besitz zugleich den Aufstieg in die Reichsritterschaft (des rheinischen Kreises) begründete (Bd. I, S. 594, 618). Dem sozialen Aufstieg und seiner Sicherung dienten sicher auch die planmäßige und erfolgreiche Bewirtschaftung neuerworbener Güter (vgl. Registerführung), die ehrgeizige Erschließung von Bodenschätzen, die repräsentative Lebensführung auf dem Schnellenberg sowie das Streben nach neuen Rechten und Ämtern. So hatte Kaspar für seine Familie die Erbvogtei über das Kloster Grafschaft gewonnen (Bd. I, S. 502) und erhielt im März 1612 das Landdrostenamt im kurkölnischen Herzogtum, „die höchte Würde einer ereignisreichen Laufbahn“ (Bd. I, S. 11).

Bei den sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen, amtlichen oder politischen Unternehmungen Fürstenbergs scheinen ständisch-familiäre Aspekte wieder als ein wesentliches Fundament seiner Entscheidungen, dem vielleicht die katholisch-konfessionelle Bindung als gleichwertig zur Seite stand. In diesem Sinn entschloß sich Kaspar nach dem Tod seiner ersten, adeligen Ehefrau Elisabeth von Spiegel (1587) zu einer zweiten kirchlichen, jedoch morganatischen Ehe mit seiner „Magdt“ oder „Haushalterische“ Anna Busse (vgl. Bd. I, S. 619, 705, 710, 743). Deren bislang uneheliche Kinder wurden so nachträglich legitimiert, blieben aber „bürgerlich“ und waren gegenüber den Nachkommen aus erster Ehe nicht gleichberechtigt.

Erneut zeigte sich Fürstenbergs ungewöhnliche Fähigkeit und Bereitschaft, Standesgrenzen zu überschreiten. ohne den zielstrebigen sozialen Aufstieg „seiner Familie“ zu gefährden. So wurde später sein ältester Sohn Friedrich von Fürstenberg zum Haupterben (u. a. des Stammsitzes auf der Waterlappe) bestimmt, der ebenso in die wichtige Nachfolge kurkölnischer und -mainzischer Ämter trat (Bd. I, S. 569f, Bd. II, S. 138f, 146, 163, 302,, so daß die errungene Position auch der neuen Generation erhalten wurde. — Der Vater Kaspar v. F. hatte persönliches Ansehen nicht nur unter Fürsten, Adel und Geistlichkeit, sondern ebenso unter Bürgern und Bediensteten — in Verhandlungen, Zechgelagen, (höfischen) Festen, Spiel-, Gesangs- und Tanzveranstaltungen (vgl. u. a. Bd. I, S. 23, 27f, 52, 61, 175, 346f, Personenindex in Bd. II).

Seine Niederschriften erweisen sich als bedeutende Quelle zur Alltags- und Kulturgeschichte — u. a. zu Eßgewohnheiten, sozialen Lebensbedingungen, Umgangsformen etc. Dazu bietet das ausführliche Glossar des Bearbeiters eine hervorragende Hilfe (vgl. Bd. II, S. 725-792), in dem sich wieder die vielseitige und hochgebildete Persönlichkeit Fürstenbergs spiegelt. Eindrucksvoll sind auch die Liste seiner lokalen und regionalen Beziehungen (sachlich differenzierter Ortsindex, Bd. II, S. 571-7249, die „Reise- und Belegkarten zu den Tagebüchern . .“ — bewährte und verdienstvolle Wegweiser zu den Tagebüchern als einer kaum zu überschätzenden Quelle zur deutschen Landes- und Reichsgeschichte. Ihre Lektüre empfiehlt sich nicht zuletzt auch durch einen erzählenden, „lebendigen“ Stil, der den Witz und die Persönlichkeit Fürstenbergs einmal neu belegt.

Münster, Arnold Vogt
 
 
 
 

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