Museumspädagogik im Museologiestudium
Grundlagen und Rahmenbedingungen an der Hochschule
für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH)
Arnold Vogt
Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH)
wurde am 15.7.1992 gegründet. In insgesamt acht Fachbereichen werden
18 Studiengänge angeboten; darunter der Fachbereich Buch und Museum
mit den Diplom-Studiengängen Buchhandel - Verlagswirtschaft, Bibliothekswesen
und Museologie. Die Absolventen der Hochschule erlangen ein Diplom, z.
B. als „Diplom-Museologe (FH)“. Sie können bei sehr guten Leistungen
in einem kooperativen Promotionsverfahren mit einer Universität den
akademischen Grad „Dr. phil.“ o.ä. erwerben.
Was der Hochschulname verspricht: Technik, Wirtschaft und Kultur miteinander
zu einem sinnvollen Ganzen zu verknüpfen, gilt gleichermaßen
auch für die einzelnen Studienrichtungen: Einerseits mit ihrer Ausrichtung
auf wissenschaftlich theoretisch begründete, professionelle Standards,
andererseits mit ihrer Ausrichtung auf die Berufspraxis.
Die Hochschule steht in der Tradition teils jahrhundertealter (technischer)
Bildungseinrichtungen in Leipzig. Die Museologenausbildung der Hochschule
fußt auf einer kontinuierlichen, institutionellen Entwicklung (seit
1954), deren Wurzeln sicher nicht zufällig in Leipzig liegen, einer
Stadt mit einer außergewöhnlich vielfältigen Museumslandschaft
und einer jahrhundertealten bürgerlich-öffentlichen Ausstellungskultur.
Dieser Zusammenhang darf hier besonders erwähnt werden, weil die Museen
vor Ort zugleich wichtige Praktikumsstätten in der Hochschulausbildung
sind.
Mit der Eröffnung des neuen Diplom-Studienganges Museologie 1992
wurde eine jahrzehntealte Forderung nach museumsspezifischer, wissenschaftlich
gesicherter Berufsausbildung aufgegriffen. Damit gelang dem Freistaat Sachsen
als erstem deutschen Bundesland ein berufs- und ausbildungspolitischer
Innovationsschub zugleich. Eingebunden in das wissenschaftliche Konzept
der Museologie, wie sie bereits in anderen europäischen Hochschulen
und in internationalen Gremien bewährt und anerkannt ist, zielt der
Studiengang auf ein integriertes Miteinander verschiedener Qualifikationen
zur musealen Bestandsbildung, -erhaltung, -dokumentation, -vermittlung
und -verwaltung. Mit dieser Maßgabe folgt die Ausbildung zugleich
den Empfehlungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister, die Bildungs-
und Vermittlungsaufgabe gleichermaßen neben den anderen Museumsaufgaben
zu beachten. Konsequenterweise wurden die „Grundlagen der Objektvermittlung
und die Museumspädagogik“ mit einer Professur bedacht und so zum konstitutiven
Bestandteil/Standard der Hochschulausbildung in Leipzig.
Museumspädagogik im Museologiestudium
Unsichere Fundamente -Umstrittene Begriffe
Schon die scheinbar „einfache“ Frage nach dem, was in Praxis und Theorie
überhaupt unter „Museumspädagogik“ zu verstehen ist, erweist
sich als eine Hürde voller Kontroversen und Irritationen, die für
Pläne einschlägiger Ausbildung sehr abträglich sind. Hier
soll kein Klagelied über die teils sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen
von „Museumspädagogen“ gesungen werden, zumal dabei nichts Neues zu
erwarten ist. Wenn aber die begrifflichen Grundlagen nicht gesichert sind,
auf welchem Fundament sollen dann die etwaigen Ziele oder Qualifikationen
einer Ausbildung aufbauen?
Das Ganze wird umso schwieriger, wenn wir die Rahmenbedingungen für
ein übergreifendes Berufsbild, die Museumsarbeit generell betrachten.
Auch dazu erhalten wir nur sehr vage, in den konkreten Folgen umstrittene
Ant-
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worten: Z. B. die einschlägigen Definitionen des ICOM und des Deutschen
Museumsbundes: Übereinstimmend heben sie zwar die klassischen Museumsfunktionen
(Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln) hervor; demgegenüber
identifizieren sich manche Museumsdirektoren jedoch vorrangig mit „ihrer“
Fachwissenschaft, der sie entstammen, anstatt mit dem Arbeitsfeld, dem
Museum. Sie akzentuieren ihre Arbeit vor allem als Teil der sogenannten
objekt- oder sammlungsbezogenen „Fachwissenschaft“, die zudem einen Vorrang
gegenüber funktionsbezogenen Bezugswissenschaften, wie der „Museumspädagogik“/Erziehungswissenschaft,
behauptet. Dieser Einschätzung entspricht zudem ein Sprachjargon,
der den Bereich „Museumspädagogik“ überwiegend als vor- oder
nachwissenschaftliche Funktion diffamiert und in den wichtigen Fragen der
Museums- und Ausstellungsplanung gar nicht beachtet. Es stimmt nachdenklich,
wenn die unvorteilhafte und folgenreiche Sprachregelung auch von betroffenen
„Museumspädagogen“ verwandt wird. Demnach könnten die klassischen
Museumsfunktionen des Ausstellens bzw. Vermittelns von den traditionellen
Fachwissenschaftlern „nebenbei“ wahrgenommen werden und die „Museumspädagogik“,
was immer sich dahinter verbirgt, wäre konsequenterweise keine museumsrelevante
Fachwissenschaft, stattdessen eher eine Art spezielle Fachdidaktik? 1
Dabei sind andere Fragen noch gar nicht erwähnt worden: u. a. nach
den musealen Vermittlungsfunktionen, z. B. Ausstellungs-Design, (Innen-)Architektur.
Können sie ebenso von der herkömmlichen Fachwissenschaft verantwortet
werden? Und welchen Standort nähme dabei wiederum die „Museumspädagogik“
ein? Unerwähnt sind zudem die in der Praxis so grundlegenden, konzeptionellen
Unterschiede in („fachwissenschaftlichem“) Selbstverständnis und Zielvorstellung
der Museen, eher Lern-, Bildungs-, Erkenntnis- oder eher Erlebnisort zu
sein.
Relativ unbestritten erscheint dabei die Bildungsfunktion der Museen,
deren Bedeutung als Ort vielfältiger, zugleich wissenschaftlich gesicherter
Erkenntnis. Institutionalisierte Konsequenzen für eine kontinuierliche,
wissenschaftlich gesicherte Reflexion der Museumsarbeit und für eine
entsprechende, standardisierte Ausbildung des Fachpersonals blieben aber
bisher aus. Nicht selten wirk(t)en „Museums(fach)wissenschaftler“ als Autodidakten,
die sich nach einem Fachstudium eingearbeitet haben oder über externe,
ehrenamtliche Umwege zur Museumsarbeit gelangt sind. Dies gilt nicht zuletzt
für Aufgaben der „Museumspädagogik“, die immer noch überwiegend
im Nebenamt oder freiberuflich wahrgenommen werden. - Der Mangel einschlägiger
Ausbildung und Anleitung in der Berufspraxis erstaunt umso mehr, sobald
vergleichbare Berufe, deren Studien- und Ausbildungsverhältnisse berücksichtigt
werden, z. B. der Referendardienst im Höheren Schuldienst, in Justiz
oder Verwaltung.
Wer den Versuch einer bilanzierenden Gesamtbetrachtung der „Museumspädagogik“
heute unternimmt, trifft auf ein buntscheckiges Spektrum von Initiativen,
Aktivitäten, von (institutionellen) Vorstellungen und Erwartungen.
Klaus Weschenfelder und Wolfgang Zacharias charakterisieren die Situation
mit den folgenden aufschlußreichen Worten: „Konzeptvielfalt, Ungleichgewichtigkeit,
Ausschnitthaftigkeit, Zufälligkeit, regionale Unterschiedlichkeit“.
2
So erfreulich und ermutigend solche Vielfalt mancherorts sein mag, so dringlich
erscheint andererseits doch eine angemessene Reflexion und Beurteilung
solcher Museumsarbeit, da für die anstehenden Aufgaben und Fragen
insgesamt weder eine überzeugende Terminologie noch eine
1) Hanno Möbius
(Bearb.): Entwicklung von Museumskonzeptionen in der Bundesrepublik Deutschland
und Berlin (West) 1974-1985, Heft 15: Materialien aus dem Institut für
Museumskunde, Berlin 1985, S. 37
2) Klaus Weschenfelder
/ Wolfgang Zacharias: Handbuch Museumspädagogik, Orientierung und
Methoden für die Praxis, 3. überarb. Auflage, Düsseldorf
1992, S. 40
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stringent übergreifende Didaktik erkennbar ist. Zusätzlich
konstatierte Werner Hilgers vor wenigen Jahren noch eine scharfe Grundsatzkritik:
„In den Museen betreibt man (museumspädagogische, d. Verf.) Praxis
ohne solide Theorie, auf den Hochschulen lehrt man Theorie fern aller Praxis“.
3
Verlangt die Arbeit in den Muse(umswissenschaft)en kein kreatives oder
produktives Verhältnis von Theorie und Praxis?
„Museumspädagogik“ - Grundfunktion musealer Kommunikation und
„Anwalt“ der Besucherinteressen –
aus museologischer Sicht: pars pro toto
Sicherlich spiegelt die „Museumspädagogik“ - pars pro toto - die
theoretischen Defizite in der Museumsszene insgesamt im Schatten der sich
überschneidenden, teils miteinander konkurrierenden bezugswissenschaftlichen
Grundlagen. Soll die „Museumspädagogik“ nicht nur der verlängerte
Arm der traditionellen Fachwissenschaften sein, so bedarf sie mehr als
bloßen Praktizismus, stattdessen einer systematischen, museumsorientierten
Beurteilung, die den tatsächlichen Anforderungen gerecht wird. Dazu
ist ein interdisziplinärer und interinstitutioneller Verbund vonnöten,
für den die Museologie hilfreich ist. In diesem Sinne bietet sie allerdings
keinen Ersatz für museumsrelevante Bezugs- und Fachwissenschaften,
sondern eine Verbundtheorie der musealen Arbeit. 4
Dabei unterscheidet Zbynek Stransky bestimmte „Grundlagendisziplinen“,
z. B. in der Erziehungs- oder Geschichtswissenschaft. Auf dieser Grundlage
wirken etablierte Teildisziplinen, etwa als Schulpädagogik oder als
Kunstgeschichte, auf die Museen ein, um an den Schnittpunkten ein sinnvolles
Miteinander zu ermöglichen: Als „Spezielle Museologie“ (Stransky)
oder „Spezielle Musealmethode“ (Friedrich Waidacher) bzw. „Fachdisziplin“,
z. B. als „Museopädagogik“/Erwachsenenbildung, sowie als historisch(museal)e
Bild- und Quellenkunde.
Ungeachtet der verschiedenartigen, teils miteinander konkurrierenden
Ansätze und Tendenzen heute, gilt die „Museumspädagogik“ im Kern
als eine Instanz bzw. Kompetenz für „Vermittlung von Bildung und Wissen“,
das heißt auch für Transfer von Er-/Kenntnissen, Verfahrens-
und Bewußtseinsstrukturen im weitesten Sinne. Aus dieser Perspektive
vermittelt „Museumspädagogik“ zwischen Öffentlichkeit (Auftraggebern
und Besuchern) und Wissenschaft (= besondere den museumsbezogenen Bereichen
der Fachwissenschaften). Die „Museumspädagogik“ erweist sich als Alter
Ego der langetablierten, klassischen Museumsarbeit und erfordert eine Museologie
im Grenzbereich der funktionsbezogenen Gesellschafts-, Sozial- bzw. Erziehungswissenschaft
einerseits und den je nach Ausstellung bzw. Objekt unterschiedlichen Bezugs-
und Fachwissenschaften und deren Didaktik andererseits. Dabei gerät
die „Museumspädagogik“ nicht selten in die Funktion eines „Anwalts“
für die Besucherinteressen, die es gegenüber allzu enger „fachwissenschaftlicher“
Museumsdirektion, deren Trägern und Auftraggebern zu reklamieren gilt.
Das Museum ist also Kreuzungspunkt im komplexen Beziehungsgeflecht von
Wissenschaft, Bildungsauftrag/Kommunikation und Museumspublikum, die ihrerseits
wieder in einer engen wechselseitigen Verbindung stehen - in einer Art
Perpetuum Mobile. In der Folge sind die wissenschaftlichen Anfragen an
die Museumsarbeit wesentlich vom gesellschaftlich-politischen Kontext geprägt,
mit weitreichenden Konsequenzen für alle Bereiche der Museumsarbeit.
So verlangen die Vertreter der sogenannten „Neuen Museologie“ eine folgenreiche
Offenheit zwischen Wissenschaft und Publikum, sodaß die Sammlungskriterien
vorrangig nach ihrem Beitrag zum „kollekti-
3) Werner Hilgers:
Zum Stand der Diskussion um die Ausbildung von Museumspädagogen, in:
Museumskunde, Band 52, Heft 2, Berlin 1987, S. 88
4) Zbynek Stransky:
Die theoretischen Grundlagen der Museologie als Wissenschaft, in: Hermann
Auer (Hg.): Museologie, Neue Wege - Neue Ziele, (Bericht über ein
internationales Symposium (ICOM) vom 11.-15.5.1988), München, London,
Paris, New York 1988, S. 44 f.
Vgl.: Friedrich Waidacher: Museologie als Erkenntnissystem
und Handlungsanweisung, in: Jahresbericht 1991 des Landesmuseum Joanneum,
Graz 1992, S. 9-29
Vgl.: Arnold Vogt: Museologie und Museumspädagogik
in Wissenschaft und Praxis, in: Katharina Flügel/Arnold Vogt (Hg.):
40 Jahre Museologen- Ausbildung in Deutschland, Beiträge zu deutsch-deutschen
Kulturdialogen, Katalog zur Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst
Köln, Alfter/Bonn 1993, S. 65-71
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ven Gedächtnis“ zu bewerten und nach ihren Forderungen aus der
Bevölkerung festzulegen wären. 5
Ungeachtet der wechselnden ideologischen Voraussetzungen bilden die
gegenständlichen Sammlungen das ausschlaggebende Fundament, an dem
jegliche Museumsarbeit gemessen wird, auch die „Museumspädagogik“.
Dabei ist sie vor allem als Didaktik der musealen Arbeit gefordert. Es
bieten sich Chancen für einen Wissenschafts- und Kulturtransfer in
dreifacher Hinsicht: interdisziplinär, interinstitutionell und interkulturell.
Diese drei „Inters“ bilden ein wesentliches Charakteristikum musealer Arbeit:
1. In der Wechselbeziehung verschiedener sammlungs- und funktionsbezogener
Fachwissenschaften und - disziplinen (Interdisziplinarität),
2. im Zusammenwirken verschiedener Institutionen aus Politik, Verwaltung,
Wissenschaft, Wirtschaft, Presse und Öffentlichkeit - unter den Museums-
und Austellungsträgern wie unter den Besuchern als Angehörigen
dieser Institutionen (Interinstitutionalität) und
3. im Museumspublikum und dessen Resonanz unter Angehörigen verschiedener
soziokultureller Status-Gruppen je nach Alter, Bildung, Schicht, nationaler,
ethnischer, konfessioneller, sozialer oder sonstiger Herkunft (Interkulturalität/Intersozialität).
6
Diese drei „Inters“ markieren die wesentlichen Faktoren musealer Arbeit
einschließlich deren Vermittlung bzw. „Museumspädagogik“. Sie
ermöglichen eine außergewöhnliche, produktive und kreative
Öffentlichkeit für Wissenschaft und Kultur mit einer Art Billard-Effekt
und Impulsen, die das museumsspezifische Bildungs-, Erkenntnis- und Erlebnispotential
auszeichnen.
Es liegt nahe, daß eine Vermittlungsaufgabe in oder durch Museen
nur dann gelingen kann, wenn Wissenschaft, Auftraggeber und Adressaten
in einer sinnvollen, zugleich überzeugenden Gesamtkonzeption berücksichtigt
werden.
Dabei sind bestimmte didaktische Grundprinzipien musealer Kommunikation
unbestritten:
- Anschaulichkeit bzw. Ästhetik,
- Authentizität, Originalität, d. h. auch Historizität
und Narrativität,
- Bedeutung, Informations- und Erkenntnisgehalt von Ausstellungsobjekten,
- Offenheit, d. h. auch Multiperspektivität, transparente, auf
Dialog mit dem Publikum bedachte inhaltliche Strukturen.
In diesem Zusammenhang kann „Museumspädagogik“ in mehrfacher Hinsicht
verstanden werden: Entweder als Grundfunktion musealer Kommunikation sowie
als konzeptionelle Kompetenz und Vermittlungsanspruch, dem das gesamte
Fachpersonal verpflichtet ist, oder als besonderes Aufgabengebiet von speziell
als „Museumspädagogen“ engagierten Fachkräften, zuständig
z. B. für Ausstellungen, für Betreuungsmaßnahmen von Besuchern
oder Öffentlichkeitsarbeit.
In jedem Fall sollte die „museumspädagogische“ Vermittlungsaufgabe
als gemeinsame Verantwortung vom gesamten Fachpersonal aus Wissenschaft,
Verwaltung und Technik getragen werden. Dies erfordert freilich mehr als
bloße Praxis: Vor allem die Überwindung des herkömmlichen
„Fach(wissenschafts)“-Egoismus, um den erwähnten didaktischen und
kommunikativen Ansprüchen glaubwürdig gerecht zu werden. „Museumspädagogik“
beginnt schließlich nicht erst dort, wo Wissenschaft endet, son-
5) Francois Hubert:
Das Konzept der „Eco musee“, in: Gottfried Korff und Martin Roth (Hg.):
Das historische Museum, Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik,
Frankfurt, New York, Paris 1990, S. 199-213
6) Zur Bedeutung
der Interrelationen, insbesondere der drei „Inters“, vgl.:
Line Kossolapow, Vorüberlegung: Museen unter verändertem
Vorzeichen, in: Doris Jacobs: Interkulturelle Museumspädagogik, internationale
Bemühungen der Museumspädagogik in ihrer Relevanz für das
ausländische Vorschulkind, Weinheim 1986.
Georg Auernheimer: Einführung in die Interkulturelle
Erziehung, Darmstadt 1990
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dern sie unterliegt ihrerseits wissenschaftlichen Ansprüchen, die
aus Erziehungs-, Kommunikationswissenschaft, Kultursoziologie u. a. abzuleiten
und zu einem konzeptionell-qualitativen „Gesamtwerk“ zu konstituieren sind.
Professionelle Museumsarbeit verlangt sicherlich mehr als herkömmliche
(d. h. eben nur sammlungsbezogene) „Fachwissenschaft“. Wenn die Bildungsfunktion
und das Erkenntnispotential der Museen ernst genommen werden wollen, bedürfen
sie einer eigenständigen Berücksichtigung in Forschung und Lehre,
zudem einer Theorie der musealen Arbeit, ihrer kommunikativen, erkenntnis-
und bildungsrelevanten Prozesse. Dies gilt umso mehr für den Komplex
der „Museumspädagogik“: Sie wird ein Spielball herkömmlicher
„Fachwissenschaften“ bleiben - in unfertiger „Zwischenschaft“ - zwischen
den (Lehr-)Stühlen, solange sie ihre Chancen und Perspektiven „nur“
aus der mehr oder weniger willkürlichen Praxis begründen kann.
7
Stattdessen bedarf sie einer eigenständigen, wissenschaftlich gesicherten
und überzeugenden Argumentation, deren Fundamente nicht nur in einem
additiven „Kompartiment“ 7 sondern
in einem qualitativen Verfahren genutzt werden. Es bleibt zu fragen, ob
die erwähnten museumsspezifischen Belange und Unsicherheiten wieder
als ein Grenzbereich behandelt werden sollen.
7) Josef Nolte: Museumspädagogik,
ein Vorkommnis zwischen den Wissenschaften, in: Standbein Spielbein. Museumspädagogik
aktuell, Ausgabe 36/37, Hildesheim 1993
Hochschul-Curriculum für Museologie
Ein pragmatisch integratives Modell - auch für „Museumspädagogik“?
Für die Lehrinhalte und die Ausbildungsgestaltung gaben bestimmte
Leitlinien den Ausschlag:
- das Ziel fachgerechter, wissenschaftlich gesicherter Qualifikation
und Anleitung für den gehobenen Museumsdienst, auch zur Leitung kleiner
und mittlerer Muse(umsabteilung)en,
- das wissenschafts- und museumstheoretische Konzept der Museologie
und ihrer erkenntnisrelevanten Handlungsweisen, deren Orientierung an berufspraktischen
Arbeitsabläufen,
- die enge Kooperation mit anderen museologischen Instituten, z. B.
der Reinwardt-Akademie Amsterdam oder der Universität Brünn,
die für die Leipziger „Museologie“ Pate stehen, ferner mit Museen,
deutschen und internationalen Fachverbänden,
- die theorie- und praxisorientierte Fortführung und Erweiterung
der einschlägigen, bisherigen Museologenausbildung in Leipzig.
Unter diesen Voraussetzungen ist das Curriculum für das Museologie-
Studium entstanden. Es dauert acht Semester und gliedert sich in Grund-
und Hauptstudium mit fachpraktischen Studiensemestern. Am Anfang stehen
einführende Lehrveranstaltungen über Theorie und Strukturen der
Museologie, die Geschichte der Museen, außerdem propädeutische
Vorlesungen, die Grundlagen musealer Bestandsbildung und -erhaltung, sowie
der Gegenstandsbeschreibung und der Historischen Hilfswissenschaften (vgl.
Studienordnung).
Das Hauptstudium ist drei Schwerpunkten vorbehalten:
1. den „Speziellen Musealmethoden“ (wahlweise zwischen ausgewählten
realienkundlichen Disziplinen, z. B. den kultur-, technik- oder naturhistorischen
Museen, sowie den Methodologien der als Quellenfächer in das System
der Museologie integrierten Fachdisziplinen),
2. Praktika und Diplomarbeit,
3. dem Block der musealen Vermittlung bzw. „Museumspädagogik“:
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Unter den Arbeitsfeldern der musealen Vermittlung ist die „Museumspädagogik“
ein Schwerpunkt, der durchgängig in allen Semestern des Hauptstudiums
vorgesehen ist. Er umfaßt: Theorie und Grundlagen der musealen Kommunikation,
sowie Konzeptionen musealer Dienstleistungen zu Ausstellungen, Öffentlichkeitsarbeit
und Besucherbetreuung in Theorie und Praxis. Die Grundlagen sollen durch
Projektarbeit und Praktika an Museen vertieft werden.
Neben den museologisch-theoretischen Voraussetzungen bilden berufspraktische
Erfahrungsfelder ein weiteres Fundament. So sind mehrere Praktika vorgeschrieben:
– Archivpraktikum (3 Wochen im 3. Semester)
– Allg. Museumspraktikum
– Dokumentationspraktikum
– Grabungspraktikum
– Spezialpraktikum (4 Wochen im 7. Semester)
– Fakultative Auslandspraktika |
insg.
26 Wochen
im 5. Sem. |
„Museumspädagogische“ Aufgaben sind in der Praktikumsausbildung
nach Absprache der wissenschaftlichen Mentoren und Museumsdirektoren fest
integriert, so vor allem beim Allgemeinen und Spezialpraktikum. Letzteres,
wie auch die Fakultativen Auslandspraktika, können nach freier Wahl
der fortgeschrittenen Studenten bestimmt werden. Dies wurde bereits intensiv
genutzt, teils sogar zu sehr aufwendigen Dokumentations- und Ausstellungsprojekten
(z. B. in den Alpenländern, den Niederlanden, Frankreich, den USA,
Tunesien und in Namibia). Die leistungsorientierte vollständige und
erfolgreiche Absolvierung der Praktika ist Voraussetzung für die Zulassung
zu den museologischen Diplom- Prüfungen. Der Praxisbezug ist aber
auch in den Lehrveranstaltungen vertreten durch die enge Kooperation mit
Museumsdirektoren als Lehrbeauftragten; denn die Museumspraxis ist zweifellos
ein entscheidender Maßstab, an dem die Museologen-Ausbildung, die
Absolventen und deren Berufschancen beurteilt werden.
Zum Abschluß des Diploms sind Prüfungen erforderlich, darunter
eine schriftliche Diplomarbeit, d. h., die selbständige Erarbeitung
einer museologischen Aufgabe, z. B. zur Bestandsbildung, -dokumentation,
Ausstellungskonzipierung o. ä.
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In der Übersicht ergeben Lehrveranstaltungen und Praktika das folgende
„Lehrgebäude“:
Das „Lehrgebäude“ verkörpert den Lehrplan mit den verschiedenen
inhaltlichen „Bausteinen“ (Vorlesungen, Seminare, Übungen, Projekte
und Praktika). Alles in allem bilden sie ein festgefügtes Ganzes,
in dem jeder „Stein“ exakt plaziert worden ist. Wer etwas herauslöst,
riskiert empfindliche Lücken oder sogar den Einsturz und das Scheitern.
Der zeitliche Studienaufbau wird aus den Außenlinien des „Gebäudes“
sichtbar (vgl.: Querlinien zu den einzelnen „Bausteinen“). Dies wurde durch
den Fachbereichsrat festlegt.
In der konkreten Gestaltung orientiert sich das Curriculum an museumsinternen
Arbeitsabläufen: Angefangen mit der ersten Ausstellungs- oder Museumsidee,
über Bestandsbildung, -aufbau, „museumspädagogische“ Aufgaben,
Ausstellungsplanung und -realisierung bis hin zu Grundzügen der Verwaltung.
In solchem Zusammenhang sollen die Absolventen „... die Fähigkeit
erwerben, im Team zu arbeiten, eine konkrete Arbeitsaufgabe in einer festgesetzten
Zeit zu bewältigen, Schwachstellen im Museum und in der eigenen Arbeit
zu erkennen sowie Problemlösungen zu entwickeln und Arbeitsergebnisse
fachgerecht zu präsentieren.“ 8
Bis 1992 sind bereits 843 Museologen ausgebildet worden, die heute zum
„Berufsbild“ der Museumsarbeit (vor allem in den neuen Bundesländern)
beitragen. Sie unterstützen und entlasten in der Regel die Museumsarbeit
im höheren Verwaltungsdienst. In diesem Sinne bietet auch das neue
Leipzi-
8) Katharina Flügel:
Museologen-Ausbildung in Leipzig, in: Kölner Museums-Bulletin, Sonderheft
2-3/1993, S.78
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ger Curriculum eine basale, berufsorientierte Ausbildung - nach den
Anforderungen des gehobenen Dienstes - im Unterschied zu spezialisierten,
universitären Konzepten.
Das Ziel der „Team-Fähigkeit“ und die Orientierung an Arbeitsabläufen
verdeutlichen den Praxisbezug des Leipziger Curriculums, und sie entsprechen
den museologisch-pragmatischen Voraussetzungen, museale Grundfunktionen
nicht isoliert, sondern im Kontext des Gesamtwerks „Museum“ zu beurteilen.
Außerdem bietet das museologische Lehrsystem einen praktikablen und
erfolgversprechenden Ausweg aus dem Dilemma der erwähnten terminologischen
und „fachwissenschaftlichen“ Schwierigkeiten und ermöglicht zugleich
die Kompatibilität der Leipziger Hochschulausbildung mit anderen europäischen
Studienangeboten.
Indem die Museologie einen Gesamtentwurf musealer Arbeit und deren Professionalisierung
anstrebt, sind grundlegend neue Wege beschritten, die konsequent auf das
gleichgewichtige, systematische Miteinander der musealen Grundfunktionen
zielen. Wer will, mag darin ein Modell mit Pilotfunktion erkennen, indem
die neue Hochschulausbildung Maßstäbe setzt für die Qualifikationen
und berufliche Zulassung mit „museumspädagogischen“ Elementen als
konstitutivem Standard/Bestandteil. Dies bietet einen Anreiz, inhaltliche,
begriffliche und berufspraktische Belange der „Museumspädagogik“ endlich
auch an Hochschulen ernst zu nehmen und kontinuierlich voranzubringen.
Andererseits soll kein Zweifel darüber bestehen, daß die Museologie
„nur“ einen Verbund der verschiedenen museumsrelevanten Wissenschaften
bietet. Anders formuliert: Museologen sind kein Ersatz für die sammlungs-
oder funktionsbezogenen Fachwissenschaftler, d. h.: auch nicht für
speziell qualifizierte „Museumspädagogen“! Vielmehr bieten sie eine
systematisierte Schlüsselkompetenz zur koordinierten, effektiven Anwendung
der beteiligten Fachdisziplinen. Wünschenswert bleibt ferner die einschlägige
Forschung und Lehre auch an Universitäten zur Museologie.
Zusammenfassung: „Museumspädagogische“ Kompetenz
Wer die hochschul- und arbeitsmarktpolitischen Realitäten analysiert,
wird Chancen für eine „museumspädagogische“ Ausbildung an Hochschulen
und Universitäten sinnvollerweise im beruflichen, d. h., musealen
Kontext anstreben. Aus diesem Grund bedürfen „Museumspädagogik“
bzw. „Museumsarbeit“ einer wissenschaftlichen, institutionellen Verankerung
in Forschung und Lehre. Solange aber Museen lediglich als Randgebiet der
herkömmlichen „Fachwissenschaften“ behandelt werden und ansonsten
der bloßen Praxis überlassen bleiben, erscheint die Ausgangssituation
der „Museumspädagogik“ weiterhin vorbelastet. Hier ist eine Argumentationshilfe
vonnöten, die nur aus einem umfassenden, wissenschaftlich gesicherten
Theoriesystem zur musealen Arbeit gewonnen werden kann, das dann auch der
„Museumspädagogik“ zu Gute kommt.
Aus museologischer Sicht sind bestimmte Aufgaben musealer Kommunikation
oder „Museumspädagogik“ für die Berufsausbildung unerläßlich
- als Beitrag zu Wissenschafts- und Kulturtransfer - nach Maßgabe
der betroffenen Bezugswissenschaften. Dazu empfehlen sich aus der gewachsenen,
erfolgsbewährten Praxis bereits einige pragmatische Aufgabenfelder
der musealen Kommunikation bzw. „Museumspädagogik“, so vor allem:
Ausstellungsplanung (einschließlich Konzeption, Beschriftungssysteme
u. a.), zielgruppenorientierte Besucherangebote zur Erwachsenenbildung,
auch
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kulturpädagogische Initiativen im (außer-)musealen Umfeld,
sowie Öffentlichkeitsarbeit/Public Relations.
Diese Aufgaben können erfahrungsgemäß nicht nebenbei
von herkömmlicher, objektbezogener „Fachwissenschaft“ geleistet werden,
sondern sie bedürfen einer eigenständigen, wissenschaftlich gesicherten
Grundlage: eben der „Museumspädagogik“.
Studienordnung für den Studiengang Museologie der Hochschule
für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH),
Fachbereich Buch und Museum vom 23. 6. 1993 (Auszug)
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