Gedenkstätten im Wandel (Teil 1)
Spiegel des öffentlichen Geschichtsbewußtseins
am Beispiel von Kriegerdenkmälern, Ehren- und Mahnmälern
Arnold Vogt. Prof. Dr. Arnold Vogt,
lehrt an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig.
Wenn heute von Gedenkstätten die Rede ist, so können sehr
unterschiedliche Objekte gemeint sein: Orte erinnerungswürdigen, historischen
Geschehens, Memorialstätten bedeutender Persönlichkeiten, (technik-)historische
Gebäude/-ensemble und Denkmäler, aber auch Parkanlagen, Landschaftsgärten,
museale Einrichtungen oder sie werden insgesamt als Museen bezeichnet.
Unter den verschiedenartigen »Gedenkstätten« verdienen
Denkmäler, insbesondere Kriegerdenkmäler, Ehren- und Mahnmäler
unser besonderes Interesse, sind sie doch in fast allen Städten und
Gemeinden des mitteleuropäischen Raumes zu sehen. Im Unterschied zu
anderen Kunstobjekten zeichnen sie sich in vierfacher Hinsicht aus:
1. durch ihren durchweg vorteilhaften publikumswirksamen Aufstellungsort,
2. durch die jeweilige Mitwirkung namhafter Repräsentanten aus
Staat, Behörden, Kirchen, Verbänden oder aus anderen Einrichtungen,
bei ihrer Planung, Konzipierung und Realisierung,
3. durch ihre Vielzahl, denn allein etwa im Gebiet der alten Bundesländer
wird ihre Zahl auf etwa 100.000 geschätzt, eine Zahl, die eher unterschätzt
als übertrieben wird,
4. durch ihre Symbolik mit ihren existentiellen, gesellschaftspolitischen
Aussagen über Krieg und Frieden, über Individuum und Gesellschaft,
Gewalt und Tod.
So gesehen, markieren sie Kernbereiche historischer Identität,
denn es geht, kurz formuliert, um Leben und Tod, um Grundlagen individueller
und nationalkollektiver Existenz, soweit sie bedroht waren oder sind. Dies
betrifft im wesentlichen die großen Auseinandersetzungen und Katastrophen,
bei denen zumeist massenhaft Tote und Verlustzahlen zu beklagen waren aus
Krieg, Vertreibung, Verfolgung, Vernichtung und anderes mehr. Dieses Leid
wurde, beziehungsweise wird, zumeist unter ausdrücklicher Berufung
auf (vermeintlich) national-kollektive Interessen und Beweggründe
propagiert und gerechtfertigt. Sie enthalten Aussagen sowohl im Rückblick
auf das Vergangene, doch ebenso mit dem prospektiven Anspruch. Dies schließt
politische und ideologische Zukunftserwartungen ein, die beim öffentlichen
nationalen Totengedächtnis zur Sprache kommen. Dazu leisten Denkmäler
sowie sinnverwandte Bedeutungsträger (Gedenkmünzen, Orden, Gedenkblätter,
-feiern und so weiter) einen wichtigen Beitrag, unterstützt durch
Predigten, Weiheansprachen, einschlägige gesetzliche Bestimmungen
und ähnliches mehr.
Dabei empfehlen sich die Gedenkstätten wesentlich durch ihre künstlerisch-architektonische
Form, ferner durch ihre Widmung, die sogenannte »Ehrung« von
Kriegstoten sowie der »Opfer« gewalttätiger Handlungen.
Die Symbolik der Gedenkstätten -Methoden ihrer Betrachtung und
Bewertung
Mit ihrem Symbolcharakter, der aufwendigen attraktiven Erscheinung inmitten
bevorzugter Landschafts- und Stadtbildgestaltung spiegeln sie das öffentlich
vorherrschende Geschichtsbewußtsein. ...
(2 Seiten, 2 Abb.)
Kriegerdenkmäler — von den Befreiungskriegen bis zum Ersten
Weltkrieg
Was in Frankfurt 1793 zunächst nur in einem modellhaften Denkmal
zum Ausdruck kam, erfuhr in Preußen ein Jahrzehnt später eine
Generalisierung. ...
(3 Seiten, 4 Abb.)
Ehrenmäler — vom Ersten zum Zweiten Wettkrieg
Der Erste Weltkrieg war ein krisenhafter Höhepunkt des preußisch-deutschen
Nationalstaats in seiner christlich geprägten Rechtfertigung »von
Gottes Gnaden«, zugleich eine Endphase in der monarchisch-legitimierten
Privilegierung der christlichen Kirchen – in Öffentlichkeit, in Militär-
und Schulwesen. Diese existentielle Herausforderung spiegelte sich wider
in der Ordenserneuerung des Eisernen Kreuzes, ...
(4 Seiten, 6 Abb.)
... Das öffentliche Gedächtnis erlangte einen zunehmend militärideologischen
Charakter unter dem traditionellen Begriff der nationalen »Kriegerehrung«.
Anstelle der herkömmlichen Begriffe der Kriegerdenkmäler und
-friedhöfe traten nunmehr »Ehrenmäler« und »Ehrenfriedhöfe«.
Anstatt der Nationaldenkmäler gab es Pläne für »Reichsehrenmäler«.
Gedenkbücher, die vorwiegend Kriegergräber oder Denkmäler
zeigten, erschienen somit als »Ehrenbücher«. Das generelle
Merkmal dieser neuartigen »Kriegerehrung« war die sogenannte
»schlichte« Gestaltung unter Verzicht auf Prunk, auf Pracht,
und in diesem Wandel schlug sich nach zeitgenössischem Empfinden auch
der Respekt vor dem Kriegselend, der »feldgrauen« Kriegsrealität
und der Uniformität des Militärs nieder.
Stifter der Ehrenmäler, Ehrenfriedhöfe beziehungsweise Gedenkstätten
waren in der Regel Kommunen, Städte, Kirchen, Kultusgemeinden, Behörden,
Kriegervereine und Verbände, auch Firmen. Dazu wurde 1919 ein Spitzenverband
nach dem Vorbild der freien Kriegs- beziehungsweise Wohlfahrtsfürsorge
gegründet: der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge
– mit Unterstützung namhafter Vertreter aus Militär, Kirchen,
Behörden, jüdischen Gemeinden, aus Politik, Öffentlichkeit
und Verbänden. Der Volksbund propagierte nachhaltig das militär-
und nationalideologische Konzept der »Kriegerehrung«. Eine
Vergegenwärtigung des Kriegserlebnisses war das Ziel. Die Gräberfelder,
die dazu entlang der ehemaligen Kriegsfronten angelegt und gepflegt wurden,
lösten eine nachhaltige Konfrontation mit den existentiellen Fragen
von Krieg, Gewalt und Tod, sowie mit deren nationaler Rechtfertigung aus.
So erhielten die Gräber 1922 wiederum, wie zuvor auch schon im deutsch-französischen
Krieg, das reichsgesetzliche Privileg »dauernden Ruherechts«.
Auf diese Weise erlangte die Sonderstellung des Militärs eine neue
Dimension: denn keine andere Todesart, kein anderer Beruf wurden mit annähernd
vergleichbarer öffentlicher Aufmerksamkeit »geehrt« als
der Soldatenberuf beziehungsweise -tod. Anders als in bürgerlich zivilen
Friedhöfen, wo die Gräber nur fünf bis dreißig Jahre
unter Schutz standen, sollten Gefallenen-Gräber nun auf Dauer erhalten
bleiben, um so den absoluten zeitlosen Geltungsanspruch des Gefallenentodes
und der damit propagierten Wertvorstellungen zu gewährleisten. Andererseits
meldeten sich auch ideologie- und kriegskritische Stimmen zu Wort, unter
anderem aus der Sozialdemokratie. Anstatt Denkmals-»Ehren«
forderten sie Initiativen für die »Kriegskrüppelfürsorge«,
deren Regelungen sich noch jahrelang verzögerten. Es gab zudem manche
kriegs-kritische Denkmalserrichtungen, zum Beispiel die »Ehrenmäler«
von Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, die Bildkritik des Kruzifix von
George Grosz oder das »Opfermal« von Benno Elkan. Mit dem programmatischen
Titel »Heldenklage« wurde es 1920 in Frankfurt im modernen
kubistischen Stil errichtet. In Titel, Stil und dem ungewöhnlichen
Motiv der schmerzerfüllten kauernden Frauenfigur, einer Art Germania,
schuf Elkan – frei von Revanchegedanken eine kühne Alternative zur
vorherrschenden Szenerie. Auch durch die Widmung »Den Opfern«
(Inschrift) grenzte er sich von den herkömmlichen Vorstellungen ab.
Wer nach den Denkmalsstiftungen jüdischer Gemeinden fragt, erkennt
wiederum Parallelen zu christlichen Kirchengemeinden. Zumeist wurden die
religiös-ideologischen Intentionen des früheren Kriegseinsatzes
reklamiert, das heißt, die jüdischen Denkmäler demonstrierten
nicht selten das harmonische Miteinander von David-Stern und Eisernem Kreuz,
so zum Beispiel auf einem Gedenkstein der jüdischen Gemeinde in Recklinghausen.
Er belegte die Identität des jüdisch-deutschen Kriegsansatzes
in zweifacher Hinsicht: einerseits der Kampf um die jüdische Gleichberechtigung
mit den »christlichen« Soldaten; andererseits der jüdische
Anteil an den national-deutschen Kriegsanstrengungen. Dies demonstrierte
eine unzweifelhaft deutsche Identität, die mehrheitlich den jüdischen
Denkmälern dieser Zeit als rechtfertigender Trost zugrunde lag. Trotz
solcher Anstrengungen wiederholte sich die althergebrachte innerdeutsche
Problematik der antisemitischen Kräfte wieder durch öffentliche
ehrenrührige Diffamierungen, wieder unter dem Schweigen der offiziellen
Staats- und Militärbehörden.
Teil 2 des Beitrages folgt in Heft 1/96
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