Arnold Vogt
Wegweiser am Rande -
Rückblick auf ein Leipziger Studienprojekt
Ausstellung im Museum Abtei Liesborn und Publikation eines ausführlichen
Kataloges als Ergebnis mehrmonatiger erfolgreicher Zusammenarbeit des Freckenhorster
Heimatvereins mit dem Studiengang Museologie der Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) und dem Museum Abtei Liesborn.
Über christliche Kunst im öffentlichen Raum recherchierten
Museologie-Studierende der Hochschule für Technik, Wirtschaft und
Kultur Leipzig - HTWK Leipzig - vom März 1997 bis zum Januar 1998.
Insgesamt 60 Werke christlicher Kunst untersuchten die Museologen Almut
Storch und Frank Wündsch u. a. anhand einschlägiger Fachliteratur,
aufwendiger Umfragen innerhalb der Bevölkerung 1
und in Felderkundungen vor Ort. Ihre Arbeitsergebnisse wurden in einem
Katalog 2 und in einer Ausstellung
im Museum Abtei Liesborn aufbereitet – mit ausgewählten Fotos und
qualitätvollen originalen Kunstwerken 3.
(Abbildung: Beratung der Projektgruppe mit Dr. Priddy am 15. Juni 1997)
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Die älteren Objekte stammen zumeist aus säkularisierten Kirchen
und Klöstern. In den napoleonischen Wirren wurden sie durch private
Initiativen einer neuen Bedeutung zugeführt als Teil einer frommen
Stiftung. Mancherorts überdauerten sie ein längeres Intermezzo
auf einem Dachboden, bevor sie Teil eines neuerrichteten Standbildes, eines
Bildstocks oder Wegekreuzes wurden. Es sind zumeist private, bäuerliche
Stiftungen, die aus familiärem oder religiösem Anlaß errichtet
wurden - zum Beispiel die Geburt eines Hoferben, Heirat, aber auch Unglücksfälle,
Tod, Krieg oder Naturkatastrophen. Die entstehungsgeschichtliche Komplexität
der älteren Objekte schließt eine unzweideutige Klassifikation
aus. Was ist überhaupt ein „Bildstock"? Was ist ein „Wegekreuz"?
Eine aufschlußreiche Antwort bietet das Herder-„Lexikon der Kunst":
„Bildstock (auch Betsäule, Marterl, Marterbild), ein an Wegen stehendes
religiöses Wahrzeichen, das aus einem Pfeiler aus Holz oder Stein
mit einem tabernakel- oder laternenartigen Aufbau besteht und mit einem
Kruzifix, Szenen aus der Leidensgeschichte Christi oder Heiligendarstellungen
geschmückt ist..." Es unterscheidet als Hauptgruppen:
Bildtafeln mit aufgemaltem Bild bzw. eingeritzter Inschrift, den Bildstock
aus Holz oder Stein, der auf einem reich verzierten Sockel einen Pfeiler
oder eine Säule mit einem Aufsatz in Form einer Ädikula, eines
Tabernakels oder einer Laterne trägt, sowie
Passionssäulen, als Nachbildungen der Geißelsäule Christi,
die vor allem süddeutschen Dreifaltigkeits-, Marien- und Pestsäulen,
altarartige Bildstöcke, besonders in Unterfranken vertreten, und Heiligenhäuschen,
gebräuchlich an Wallfahrtswegen 4.
Diese weitgefaßte Definition entspricht dem, was etwa vier Jahrzehnte
zuvor bereits ausführlich von Otto Schmitt bestimmt worden war 5.
Nach solcher vorherrschender Terminologie erweisen sich auch Hochkreuze
und ebenso „freistehende" Kruzifixe als Sonder- oder Unterform des „Bildstocks".
In einigen Regionen wurden die formale Unterschiede von Mariensäulen,
„altarähnlichen Bildstöcke" oder Standbildern bis zur Unkenntlichkeit
verwischt, so daß die verschiedenartigen Objekte einfach als „Bildstöcke"
firmieren 6. Andernorts erscheint sogar
das Kreuz als die bevorzugte Form des „Bildstocks", „...vorzugsweise der
an öffentlichen Wegen aufgestellte Cruzifixus genannt" 7.
Die Zuordnung wird zusätzlich erschwert durch den Umstand, daß
die Objekte aus Teilen verschiedener Stilepochen bestehen, deren zeitliche
Zuordnung aber auf Grund des mehrfachen Funktionswandels, regionaler und
lokaler Verschiebungen, von Ergänzungen und Umgestaltungen fragwürdig
erscheint. Teils läßt sich der Ursprung der Objekte auch nur
vermuten, da lediglich eine private, mündliche Überlieferung
besteht, und
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keine verläßlichen schriftlichen Quellen vorliegen. Diese
Unsicherheit besteht bei fast allen Objekten, ausgenommen die Stiftungen
der jüngsten Zeit. Aufschlußreich ist zum Beispiel die „Heimsuchung"-Gruppe
bei der Hofzufahrt Borgelt, Gronhorst 5, an der Hoetmarer Straße.
Vermutlich städtisch klösterlichen Ursprungs aus der Mitte des
18. Jahrhunderts, gelangte sie erst später im 19. Jahrhundert in bäuerlichen
Besitz, wurde dann als Teil eines Bildstockes neu errichtet und in jüngster
Zeit auf einem rohen Steinsockel frei (ohne das für Bildstöcke
so typische Gehäuse) aufgestellt 8.
So gesehen konnte bei der „Heimsuchung" nur zeitweilig - im 19. Jahrhundert
bis zur letzten Umgestaltung - von einem „Bildstock" im engeren Sinn die
Rede sein. Entstehungsgeschichtlich gehörte die „Heimsuchung" in einen
anderen Zusammenhang. Erst der Funktionswandel im Kontext der bäuerlichen
Stiftung verlieh der Figurengruppe die Bedeutung als Teil eines Bildstockes,
indem ein qualitätvolles städtisch klösterliches Kunstwerk
in den Rahmen ländlicher Volkskunst gelangte. Auf Grund solcher Verknüpfung
von städtischer Bildhauerkunst und ländlicher Volkskunst war
bei münsterländischen Bildstöcken gelegentlich sogar von
einer „Mischkunst" die Rede: „Bei der Betrachtung der Denkmäler ...
machte sich ein Ineinanderwirken beider Elemente, die Entwicklung des einen
Typs aus dem anderen und das Entstehen von Zwitterbildungen bemerkbar"
9,
schließlich wurden sie auch als „Wegbilder" bezeichnet.
So lassen sich formale, kunsthistorische, aber auch entstehungsgeschichtliche
Gründe benennen, die eine präzise Klassifikation der Objekte
erschweren, und jeder Versuch einer Beschreibung wird sich zwangsläufig
dem Vorwurf aussetzen, entweder religiöse, künstlerisch-ästhetische,
kultur- oder regionalgeschichtliche Aspekte zu stark oder zu schwach zu
berücksichtigen. In den einschlägigen Publikationen ist immer
wieder das Bemühen zu erkennen, die Vielfalt der Objekte unter einen
„Überbegriff" zusammenzufassen - als „Wegbilder", „Wegdenkmäler"
10,
Wegweiser oder auch Bildstöcke und Wegekreuze. Allem gemeinsam ist
durchweg der Kontext einer religiösen, privaten Stiftung im öffentlichen
Raum: an Straßen, öffentlichen Plätzen, an Hof-Einfahrten,
(öffentlich sichtbaren) Gebäude-Fassaden.
Im Überblick spiegeln die Objekte die Frömmigkeitsgeschichte
der Region. Dies gilt für den überwiegend persönlichen bzw.
halb privaten, halb öffentlichen Charakter der Stiftungen 11,
aber auch für die Bonifatiusfigur und das Kriegergedächniskreuz
am Kirchplatz, überhaupt bei Maßnahmen des Denkmalschutzes die
bei der Stadtbildgestaltung 12 zustande
kamen, zuletzt mit „Fels Beld" an der Buddenbaumstraße und der Josefsfigur
am Josefskindergarten. Beachtlich ist dabei die Dominanz bestimmter Szenen,
so zum Beispiel die Szenen der hl. Familie und Kreuzigung, die wohl am
häufigsten
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(Abbildung: Die Figur der heiligen Thiatildis am Groneweg, die der Heimatverein
... restaurieren wird. Foto: 1978)
erschienen 13. Zu den ältesten
Motiven gehören die Vesperbilder: die Szene der schmerzerfüllten
Maria, die ihren toten Sohn in den Armen hält. Deren Verbreitung mag
noch verstärkt worden sein durch die Nähe des Telgter Gnadenbildes.
Auch die anderen Mariendarstellungen, zum Beispiel die Schmerzensmutter,
Mondsichel-Madonna, sowie das seltenere Motiv des Kreuztragenden Christus
entstammen ursprünglich den Passionsszenen von denen sie allmählich
losgelöst und verselbständigt wurden. Ähnlich waren einzelne
Heilige unter dem Einfluß der franziskanischen Volksmission beliebt
und schließlich hat sich sogar ein Beispiel für die Lourdes-Verehrung
in der Mariengrotte beim Altenwohnheim zum Heiligen Kreuz erhalten. Sicher
ist, daß Wegekreuze und Bildstöcke ein besonderes Profil des
Münsterlandes bilden. Ähnlich den „Marteln" in Österreich
und anderen katholi-
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schen Alpenregionen sowie anderer christlich katholisch geprägter
Landschaften in Italien, Slowenien und Polen sind sie Teil der Volkskultur.
Das Freckenhorster Projekt fügt sich in eine Serie von Maßnahmen
zur Erhaltung der Bildstöcke und Wegekreuze. In Ausstellungen wurden
sie bisher aber erstaunlich wenig berücksichtigt. So wurde mit dem
Studienprojekt ein neuer Weg beschritten, den der Freckenhorster Heimatverein,
mit über 600 Mitgliedern einer der stärksten Verbände seiner
Art in Deutschland, maßgeblich unterstützte (Bereitstellung
von Umfrage-Ergebnissen aus der Bevölkerung, Finanzierung des Studienprojekts,
fotografische Erfassung der Objekte durch Jürgen Meister). Es war
der Heimatverein, der eine Anfrage an die Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur Leipzig richtete. Das Museum Abtei Liesborn bot dazu
die Möglichkeit einer Sonderausstellung an. Trotz 500 km Entfernung
zwischen den Beteiligten war die Zusammenarbeit von Hochschule, Verein
und Museum für das Thema besonders sinnvoll: Die Kreuzsammlung des
Museums Abtei Liesborn - einzigartig in Deutschland - ermöglichte
eine hervorragende fachliche Einbindung der Projektaufgabe in museologische
und berufspraktische Anforderungen. Mit dem Ausstellungsprojekt der HTWK
Leipzig wurden zudem neue Wege erschlossen, weil das Thema bisher vorwiegend
„nur" in Publikationen behandelt worden war, nun auch in einer Museumsausstellung
aufbereitet wurde.
Ein wichtiges Anliegen der Ausstellung war es, das Bewußtsein
für den Wert dieser Objekte in der Öffentlichkeit zu fördern.
Es galt, sie im übergreifenden kulturgeschichtlichen Zusammenhang
zu würdigen, doch ebenso auf den Bedeutungswandel der Wegekreuze und
Bildstöcke und auf ihren umweltbedingten Verfall hinzuweisen. Heute
dienen Bildstöcke und Wegekreuze über den bloß privaten
Rahmen hinaus, zum Beispiel der Stadtbildgestaltung, sie sind in den Schutz
der öffentlichen Denkmalpflege übernommen. Neuere Stiftungen
aus jüngster Zeit belegen ihre aktuelle Bedeutung (vgl. auch die Madonnenfigur
mit Kind an der Fassade der Böselagerschen Kurie) 14.
Diese Bedeutung spiegelte sich auch in der Resonanz allein zur Ausstellungseröffnung
am 17. Januar 1998 mit mehr als 150 Besuchern, darunter auch einige aus
Leipzig, und mit ca. 20, auch überregionalen Presseberichten. Zur
Einführung sprachen der Landrat des Kreises Warendorf, Franz Josef
Harbaum, und Museumsdirektor Dr. Bennie Priddy über die außergewöhnliche
und sehr erfolgreiche Kooperation mit den Leipziger Museologen. Ergänzende
wissenschaftliche Aspekte erläuterte der Projektleiter. Durch die
Sonderausstellung, die bis zum 8. März geöffnet war, führten
die beiden Museologie-Studierenden. Daran anschließend stellte Museumsdi-
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rektor Dr. Priddy die Kreuzsammlung vor, so daß eine vergleichende
Betrachtung von Sonder- und Dauerausstellung möglich war. Für
die Studierenden bot sich so eine gute Chance, wichtige Schritte von Ausstellungsplanung
und Katalogerstellung nach Theorie und Praxis zu erarbeiten - von der ersten
Projektidee über fachwissenschaftliche Recherchen, die Verhandlungen
mit den Partnern, die Gestaltung von Drehbuch und Katalog bis hin zur Ausstellungseröffnung,
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Ein „Idealfall" für die Anliegen
und die Bildungsaufgabe des Museums, so Bennie Priddy. Auch in der Folgezeit
war die Präsentation weiterhin gut besucht.
Anmerkungen:
1 Seit über
zehn Jahren hatte der Freckenhorster Heimatverein aufwendige Umfragen in
der Bevölkerung unternommen anhand eines Fragebogens über Stiftung(smotive),
Gestaltung, Errichtung, spätere Umsetzung, Umwidmung oder Neugestaltung
der Bildstöcke und Wegekreuze in Freckenhorst.
2 Freckenhorster
Heimatverein e.V. / Friedel Rose (Hg.), Freckenhorst, Katalog zur Ausstellung
„Wegweiser am Rande - Bildstöcke und Wegekreuze in Freckenhorst",
Heft 13: Schriftenreihe des Frekkenhorster Heimatvereins, Freckenhorst
1998, im Folgenden zitiert als Katalog...
3 Vier originale
Objekte waren ausgestellt: der Corpus des ältesten Hofkreuzes und
drei Statuen; vgl. Katalog, Nr. 1 und 33, S. 8-10.
4 Wolf Stadler (Ges.-Ltg.),
Lexikon der Kunst in 12 Bänden, Band 2, Freiburg/Breisgau 1987, S.
177
5 Otto Schmitt (Hrsg.),
Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Band 2, Stuttgart 1948, Sp.
699702
6 Egon Ahlmer und
Dieter Halemba, Bildstöcke und Wegekreuze in Ahlen, Ahlen 1987. -
Dies., Bildstöcke und Wegekreuze in Sendenhorst, Ahlen 1988. - Dies.,
Bildstöcke und Wegekreuze in Drensteinfurt, Ahlen 1990. - Gerhard
Liedtke, Bildstöcke und Wegekreuze in Paderborn, Paderborn 1993.
7 J. Reimers, Handbuch
für die Denkmalpflege, hg. von der Provinzial-Kommission zur Erforschung
und Erhaltung der Denkmäler in der Provinz Hannover, 2. Auflage Hannover
1911, Reprint: Leipzig (1996), S. 151.
8 Katalog, Objekt-Nr.
7.
9 Stolte-Adelt, Wegbilder
der Barockzeit im Münsterland. Ein Beitrag zur Geschichte der volkstümlichen
Plastik Westfalens. Lebensräume der Kunst - eine Studienfolge: Heft
4, Wattenscheid 1936, S. 53.
10 Ludger Böckenhoff,
Vorwort, in: Kath. Pfarrgemeinde Ss. Cosmas und Damian Liesborn (Hg.),
Zeichen des Glaubens am Wege in der Pfarrgemeinde Ss. Cosmas und Damian
Liesborn, Liesborn 1996, S. 3.
11 Vgl. Katalog-Nr.
4, 9, 10 sowie die insgesamt 19 Kreuze. Vgl. auch beispielh. Stiftungen
des Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen sowie reicher Bauern
im Münsterland (vgl. Stolte Adelt, Wegbilder der Barockzeit im Münsterland.
Ein Beitrag zur Geschichte der volkstümlichen Plastik Westfalens.
Lebensräume der Kunst - eine Studienfolge: Heft 4, Wattenscheid 1936,
S. 11, 15ff, 26-37).
12 Vgl. jüngste
Nauaufstellung des Bildstocks „Fels Beld" / Pressebericht in: Die Glocke,
Lokales vom 8.7.1998. Weitere Beispiele Katalog-Nr. 3, 5, 6, 8, 9, 12,
21, 39, 42, 44, 45, 47, 49, und II.
13 Stolte-Adelt,
Wegbilder der Barockzeit im Münsterland. Ein Beitrag zur Geschichte
der volkstümlichen Plastik Westfalens. Lebensräume der Kunst
- eine Studienfolge: Heft 4, Wattenscheid 1936, S. 47.
14 Bekrönte
Mondsichel-Madonna mit dem Jesuskind auf der Linken um 1880, Sandstein,
112 cm. Das Kind trägt einen Globus, unterstützt von der Rechten
Mariens. Da die Madonnenfigur nicht originär aus Freckenhorst stammte,
wurde sie nicht in den Katalog aufgenommen. Nach Ausweis einer Bronzetafel
am Haus: „Madonna, um 1880, aus dem Nachlaß von Dr. Sandforth, der
in diesem Hause von 1938 bis 1958 wohnte. Freckenhorster Heimatverein Sommer
1988". Die Madonna entstammt dem Schloß Westerwinkel und gelangte
später in den Besitz von Wilhelm Sandforth, dem ersten Diözesankustos
im neugegründeten Ruhr-Bistum Essen.
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