Schulen und Museen.
Entstehung und Perspektiven ihrer Zusammenarbeit aus
museologischer Sicht 1
von Arnold Vogt, Leipzig
1. Einführung: Gegen-, Neben- oder Miteinander ?
Wer die Zusammenarbeit von Museen und Schulen heute betrachtet, trifft
auf eine zwiespältige und fragwürdige Situation in mehrfacher
Hinsicht: Einerseits können Museen und Schulen auf eine Partnerschaft
zurückblicken seit mehr als einem Jahrhundert. In der Museumspraxis
sowie auch nach Maßgabe des Schrifttums2
bilden sie sogar "die dominante Kooperationsform"3
überhaupt. Auch unter veränderten Rahmenbedingungen, der kommunalen
freien Kulturpflege und des kommunalen Marketings haben Museen und deren
schulrelevanten Bildungsangebote eine neue signifikante Bedeutung erlangt
als sogenannte "weiche Standortfaktoren", als Anziehungspunkte für
den Tourismus und nicht zuletzt für das kulturelle Angebot vor Ort.
Dabei gewinnen Schulen als Partner der Museen noch besonderes Gewicht.4
Schülergruppen haben den mit Abstand größten Anteil an
der Besucherzahl.5 - So erfreulich diese Entwicklung
mancherorts sein mag, so erstaunlich ist andererseits der Fakt, daß
die Initiative für die Zusammenarbeit doch überwiegend einseitig
von den Museen ausgeht. Weder die offizielle Lehrerausbildung noch Lehrmaterialien
beachten das museale Bildungspotential hinreichend - den zahlreichen historischen
wie aktuellen schulrelevanten Museumsschriften und Unterrichtsmodellen
zum Trotz.6
Bemerkenswert ist die jüngere Professionalisierungsdebatte, die
seit den 70er-Jahren über Museen und Schulen geführt werden.
Dabei wurden beide Seiten verstärkt voneinander unterschieden. Dies
gilt vor allem dann, wenn die Begegnung mit dem authentischen Objekt, die
Museumsspezifik und strukturelle Unterschiede hervorgehoben werden, wenn
Kinder oder Jugendliche in Freizeitgruppen das Museum "freiwillig" besuchen
(und nicht als Schüler unter Schulpflicht, Lernzielen, Leistungsdruck
etc.).7 Konsequenterweise erfuhren Museen
eine scharfe Abgrenzung von schulischer Nutzung, weil es "...dafür
weder erforderlich noch üblich (ist), daß sich die besuchten
Institutionen selbst als Orte der Erziehung und des Lernens definieren".8
Tatsächlich wurden elementare Museumsbereiche aber generell - Ausstellungen,
Ausstellungs- / Museumsdidaktik, Öffentlichkeitsarbeit, Schul- und
Museumspädagogik - bis in die jüngste Zeit wenig differenziert.9
Aus diesem Grund schien eine museums- bzw. wissenschaftstheoretische Profilierung
unumgänglich. Dabei empfahl sich die museologische Diskussion, um
die Spezifik des musealen Forschungs-, Erkenntnis-, Lern- oder Bildungsortes
zu erschließen und deutlich hervorzuheben.10
Wer aber nach der Museumsspezifik und den besonderen Anforderungen professioneller
Museumsarbeit fragte, konnte Antworten nur in (über)scharfer Abgrenzung
von einer Wissenschafts- und Berufspraxis gewinnen, in der Museen offenbar
nur als "verlängerter Arm" anderer Interessen, von herkömmlicher
Fachwissenschaft, Schulpädagogik, Architektur etc. mißverstanden,
teils auch mißbraucht wurden. Die Bemühungen für eine Profilierung
der Museumsspezifik führten schließlich zu Grundsatzdebatten
in Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik, in Museen und Verbänden:
In der Folge gibt es kaum eine Meinung, der nicht eine beachtliche Gegenposition
zur Seite steht, so in der Abgrenzung11 von
Schulen und Museen gegeneinander bzw. in der Auffassung weitgehender Übereinstimmung.12
Leitgedanke der folgenden Darstellung ist die museologische Auffassung,
die Museumspädagogik in einem zweifelsfrei musealen Kontext ansiedelt:
Stets geht es um die Vermittlung von Sammlungsinhalten in Museen oder in
derem Umfeld. In der Folge bedarf eine vergleichende Betrachtung von Schulen
und Museen sicherlich präziser Vergleichspunkte und kompatibler Kategorien.
Dabei sind historische Entwicklungslinien von Museen und Schulen sowie
ihrer Beziehungen besonders aufschlußreich. Auf Grund der jahrelangen
Debatten liegt es nahe, die wechselnden Argumente mit ausführlichen
Anmerkungen auszuweisen, die einschlägige Fachdiskussion und -literatur
auch in Teilaspekten darzulegen.
2. Die Anfänge musealer Lehre und Forschung
und die neue Bedeutung der Museen als Bildungsstätten der Nation
(Schlagworte)
Museum als Ehrfurcht gebietende Schule
Bildung als geistiger Besitz
Anfänge des modernen Museums im Zuge der Französischen Revolution
3. Volksbildung, neue Wissenschaftsdisziplinen und persönliche
Initiativen von Lehrern
Lehrer als Museumsgründer
Emil Adolf Roßmäßler
Beispiel: Entstehungsgeschichte des "Naturkundlichen Heimatmuseums
zu Leipzig"
Reformpädagogische Maßnahmen des Leipziger Lehrervereins
Kunsterziehungsbewegung
Alfred Lichtwark
Museen als Volksbildungsstätten
Georg Kerschensteiner
Museen als Bildungs- und Erziehungsinstitute
Museen als Stätten des Selbstunterrichts und des freien Bildungserwerbs
4. Preußische Initiativen für Schulen und Museen
Experimentelle Museumspädagogik
Museumspädagogik im NS-Staat
Adolf Reichwein
5. Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg bis zur Bildungsreform der 60er
und 70er Jahre
Maßnahmen der Alliierten zur Beseitigung von Museen militaristischen
und nationalsozialistischen Charakters
Neubeginn in der deutschen Museumspädagogik in den 60er Jahren
Aufbau der Museumspädagogik vorwiegend durch Lehrer
Ausstellungen der Museen selbst sind der Bildungsauftrag.
Neue Impulse in den 20er Jahren
"Lernort contra Musentempel"
6. Neuorientierung und Professionalisierung seit den 80er Jahren
Museen als offener Lernort
Zielgruppendifferenzierte Angebote über die Schulorientierung
hinaus
Museumspädagogik schulischer Fremdkörper in der Museumswelt?
Museen gehören zu den wichtigsten sekundären Orten des Lernens.
Schulmuseumsboom -neues Interesse an Schulen
Vor- und Nachteile des Vermittlungsbegriffes
Pädagogik, Vermittlung oder Kommunikation?
Freiwillige, informelle Bildung im Museum
Schulpädagogik contra
Museumspädagogik?
Dienstleistungsbetrieb Museum
Besucherservice statt 68er Träume
7. Zusammenfassung - Museum: "Lernort" mit Zukunftschance
Im Überblick erscheint die Museumspädagogik als ein Begriff
der Praxis. Er bezeichnet ein Berufsfeld, das ein buntscheckiges Spektrum
umfaßt von Initiativen, Aktivitäten, (institutionellen) Vorstellungen,
Kooperationen und Erwartungen der Museen und Partner - einschließlich
verschiedenartiger Nutzungskonzepte von Schulen und anderen Institutionen,
von Publikum und Öffentlichkeit schlechthin. Je nach wechselndem Nutzer-Publikum
bilden Wandel, Veränderung und Auseinandersetzung aber inhärente
Prinzipien der Museumspädagogik. Theoretische Voraussetzungen werden
nicht selten in Museums- und Ausstellungsdidaktik diskutiert. Dabei spiegeln
sich die gleichen Schwierigkeiten, die die Praxis der Museumsarbeit auch
generell beeinträchtigen: terminologische Unklarheiten, divergierende
Vorstellungen und Erwartungen in Öffentlichkeit und Politik, in Museen
und Verbänden.97
Museumspädagogik heute beruht auf dem Neubeginn der 60er Jahre
einerseits mit völlig neuen ahistorischen Inhalten, andererseits auch
unter Anknüpfung an frühere Bildungstraditionen. Dazu gehörten
lokale Traditionen einzelner Museen und deren Vermittlungskonzepte, darunter
besonders die Zusammenarbeit mit Schulen, (demokratische) Volksbildung
und reformpädagogische Initiativen, ebenso der Einfluß einzelner
Pädagogen (Emil Adolf Rossmässler, Alfred Lichtwark, Georg Kerschensteiner
oder Adolf Reichwein u.a.). So gesehen, fußt die neue "Museumspädagogik"
seit den 60er Jahren auf alten Entwicklungslinien musealer Bildung, die
über die verbandsoffizielle Ersterwähnung des Jahres 1934 weit
hinausweisen. In jahrzehntelangen Kontroversen wurde über Inhalt und
Selbstverständnis der Museumspädagogik gerungen, nach Leitbegriffen
und Ersatzbezeichnungen (anstelle "Museumspädagogik") gesucht. Es
wurden unterschiedliche Akzente gesetzt, die reflexiv-wissenschaftlichen
und forschenden, "vermittelnden", "erzieherischen" bzw. "bildenden" Teilaspekte
abwechselnd mal stärker oder schwächer gewichtet und bewertet.
Doch in der Praxis, in einschlägigen Stellenausschreibungen, aktuellen
Stellungnahmen, in Verbandsgründungen, Forschung (Dissertationen)
und aktueller Literatur behauptete sich die "Museumspädagogik".98
Dabei erwiesen sich Schulen als beständiger und - nach Ausweis der
Besucherzahlen - auch dominanter Partner. Ungeachtet der Unterschiede zwischen
Schulen und Museen verwies die museumshistorische Entwicklung auf eine
Fülle beachtlicher Gemeinsamkeiten:
• Wesentliche Impulse, die in der historischen Museumsentwicklung von
Schulen, Lehrern bzw. Schulpädagogen ausgingen.
• Lehrer, die Museen resp. betroffene Fach- und Museumsvereine gründeten
und / oder weiterentwickelten ( - bis zur Gegenwart !).
• Pädagogen, die museale Bildungskonzepte bestimmt haben und deren
Einfluß bis heute fortwirkt. (Dies gilt nicht zuletzt für den
Neuaufbau der Museumspädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg.)
• Schulrelevante museale Angebote und Nutzungskonzepte, die von Schulen,
Museen und anderen Institutionen, insbesondere den großen museumspädagogischen
Zentren, gemeinsam erarbeitet worden sind.
Neben der historisch gewachsenen Praxis, der Zusammenarbeit von Museen,
Kultus- und Schulbehörden, der gemeinsam erarbeiteten und in der Praxis
bewährten Nutzungskonzepte von Schulen und Museen bestehen offenbar
Differenzen. Bemerkenswert ist die Zurückhaltung in aktuellen Lehrplänen
und Unterrichtsmaterialien gegenüber dem Museum als außerschulischem
Lernort, ferner die Skepsis an Museen gegen den "traditionellen" Schulunterricht.
So werden elementare Begriffe der Museumsarbeit bis zur Gegenwart in der
einschlägigen Fachdiskussion gegensätzlich bzw. widersprüchlich
bestimmt, so vor allem in Museums- und Ausstellungspädagogik und -didaktik.
Ist "Didaktik" ausschließlich als schulspezifische Disziplin99
einzugrenzen bzw. zu verwerfen oder aber im übergreifenden Sinn der
"Ermöglichung von Kommunikationsprozessen im Museum... "100
schlechthin zu verstehen - einschließlich des Bildungs- und Erziehungsgeschehens
in Museen? Deutlich schrieb dazu Kenneth Hudson: "Ein Museum, das für
intelektuell und emotional freie Menschen in jedem Alter sorgt, ist auf
dem Weg, ein gutes Museum zu werden ... In gewissem Sinn sind alle Museen
natürlich didaktisch, sie bieten Möglichkeiten zu lernen... Ich
kann mir kein Museum vorstellen, in dem man nichts lernt... Ein großer
Teil des Lernens, oft auch das sogenannte 'Wertvolle', ist jedoch zufällig,
ungeplant. Es geschieht als Reaktion auf Menschen, Ereignisse, Objekte
oder Phänomene. Ein Museum, das eine fördernde, stimulierende
Lernatmosphäre bietet, ist ein gutes Museum ... Museumsbesucher sind
aber
keine Schüler. Sie sind freie Menschen, sie können wählen,
ob sie in ein Museum gehen oder nicht; und sie ... bleiben selbstverantwortlich".101
Weitere Beispiele bzw. Fragen ließen sich hinzufügen. So entzündeten
sich Kontroversen über die Beurteilung und Gewichtung (traditionell
!) schulischen Lernens im Museum.
Beratungsbedarf besteht offenbar über die Chancen modernen außer-
/ schulischen Lernens hin zu mehr Transparenz und Offenheit, vor allem
zu vermehrtem interdisziplinärem Dialog hinsichtlich schulischer Nutzungskonzepte,
von Museumsdidaktik bzw. -pädagogik, von Lern-, Erlebnis- und Bildungsbegriff.
Außer Zweifel erscheint die Chance informellen, "offenen Lernens"
(Borries, Hochreiter, Rohmeder, Treinen, Weschenfelder, Zacharias u.a.).
Sogesehen hat der "Lernort Museum" doch eine Zukunftschance? Dazu sind
Fachdidaktiker/innen, Fachverbände und Behörden, Schulen und
Museen gefordert.
Aus museologischer Sicht kommt es wesentlich darauf an, die Chancen
verantwortungs- und sammlungsbewußter, musealer Leistungsangebote
für die Öffentlichkeit, auch für Schulen, selbstbewußt
zu entfalten, die Möglichkeiten professioneller Vernetzung mit anderen
Partner-Institutionen, einschließlich der Schulen, zu nutzen, ohne
die Museumsspezifik zu vernachlässigen. Daß dies gelingt, daß
dazu günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, erfordert den interdisziplinären
und auch interinstitutionellen Dialog, zu dem quellenkundliche bzw. quellenfachliche
Grundlagen gehören, doch ebenso die besucher- und nutzerbezogene Vernetzung
mit Verwaltung, Forschung, Schulen und anderen Institutionen, Publikum
und Öffentlichkeit. Konsequenterweise ist eine Museumspädagogik
zu wünschen, die - innerhalb des Museums - keinen Sonderfall bildet,
sondern sich auch mit ihren schulrelevanten Leistungsangeboten als integraler
Bestandteil der Museumsarbeit erweist. Dazu sollen:
1) die aktuellen Chancen der Zusammenarbeit von Schulen und Museen
zu beiderseitigem Vorteil aufgezeigt, verstärkt,
2) die moderne museologische, museumspädagogische und die aktuelle
schuldidaktische Diskussion mit zukunftsweisenden Perspektiven weiterentwickelt
und
3) praxisnahe, konzeptionelle und organisatorische Hilfestellungen
erarbeitet werden.102
102 Anmerkungen
|