Chancen und Grenzen musealer Lehr- und Lernkultur
von Arnold Vogt, Leipzig
Am 6. und 7. Mai 2001 berieten 65 Museumspädagoginnen und Museumspädagogen
in Dresden über „Museen und Schulen in Sachsen. Perspektiven einer
neuen Partnerschaft". Eingeladen hatten der Arbeitskreis Museumspädagogik
Ostdeutschland e.V. (AKMPO e.V.) und das Deutsche Hygiene-Museum. Sie knüpften
an die Diskussion, die über „Museen und Schulen..." im April 1999
in Meißen1 begonnen, im November
2000 in Leipzig2 fortgeführt worden
war. Standen anfangs in der ersten Tagung in Meißen noch eine kritische
Bestandsaufnahme von Schul- und Museumspädagogik im Vordergrund, außerdem
Vorstellungen zur bevorstehenden Lehrplanrevision in Sachsen, so kamen
in den Folgetagungen in Leipzig und Dresden moderne, konstruktivistische
Ansätze im modernen Lehr- und Lernverständnis zu Wort. Dazu sprachen
Experten aus Erziehungswissenschaft, Psychologie, Museologie, Geschichtsdidaktik,
Religions- und Kunstpädagogik, des weiteren Kollegen aus der Praxis
an kulturgeschichtlichen Museen, an Technikmuseen und an Science-Zentren,
sowie in Schulausstellungen, Workshops, schulrelevanten museumspädagogischen
Schriften und Materialien.
Übereinstimmend wurden Vorurteile festgestellt, die das Miteinander
von Museen und Schulen in der Praxis belasten. In diesem Sinne klagte Dr.
Michael Kiupel3 (Universität Flensburg):
„Wie sehr „Lernen" mit „schulischem Lernen" gleichgesetzt wird, ... dass
mit Lernen in unserer Kultur weitgehend Mühe, Schwierigkeiten und
harte Arbeit verbunden werden. Bei unserem Begriff von Lernen denken wir
normalerweise wenig an Spaß und Entspannung. Insofern nehmen dann
viele Museumsbesucher ihre Lernerfahrung nicht als solche wahr." Kiupel
konstatierte forderte eine Neuorientierung und erinnerte zugleich an eine
alte (bisher nicht erfüllte) Forderung von Pädagogen nach „Unmittelbarkeit".
Auf neue Wege wiesen gleich mehrere Beiträge: Prof. Dr. Jörg
Knoll und Karin Hoser sowie Dr. Iris Mortag (Erziehungswiss. Fakultät
der Universität Leipzig), Dr. M. Kiupel, Prof. Dr. Max J. Kobbert
(Kunstakademie Münster), Cornelia Hähne (Technischen Universität
Dresden) und Prof. Arnold Vogt (Museologie / HTWK Leipzig). Sie plädierten
für eine neue (konstruktivistische) Sicht schulischen und musealen
Lernens. Dabei sind Erfahrungs- und Subjektorientierung im Kontrast zum
sogenannten (herkömmlich) schulischen Instruktivismus zu verstehen.
Andererseits bedeute die Subjektorientierung keinen Gegensatz zur Objektzentrierung,
wie Professor Kobbert aus psychologischer Sicht darlegte. Er plädierte
für „eine dem menschlichen Erleben angemessene Objektzentrierung als
Konsequenz einer zu Ende gedachten Subjektzentrierung. ,Faszination Museum'
ist möglich."4 Praktische Konsequenzen
wurden in Workshops5 beraten am Beispiel
von schriftlichen didaktischen Materialien6,
von Führungs- und Gesprächskonzepten, von Film-, Ausstellungs-
und „Lernwerkstätten". Dabei bleibt das museale Objekt Basis und Ausgangspunkt
für die musealen Ausstellungs- und Bildungsangebote. Unbeschädet
ihrer musealen Spezifik wurde deren curriculare Verknüpfung diskutiert,
aber auch deren Ergänzung. So forderte Professor Dr. Dietmar Klenke
eine stärkere Beachtung der Musikkultur.
Insgesamt wurden Perspektiven eines neuen Lern- und Lehrverständnisses
deutlich, die von den Referenten aber durchweg im bildungs-, museums- und
ausstellungshistorischen Kontext betrachtet wurden. So gesehen erscheint
die Forderung nach einer Neu-Orientierung von Museen und Schulen
durchaus im Einklang mit einschlägigen früheren Diskussionen
in der Reformpädagogik u.a.. Wer will, kann zur „Werkstatt"-Idee sogar
museumshistorische Vorläufer erkennen, so zum Beispiel in der Museumspädagogik
von Adolf Reichwein.7 Andererseits
werden Forderungen nach selbstgesteuertem, „lebendigem Lernen" heute mit
wachsender Kraft erhoben, so dass sogar von einer neuen Lehr- und „Lernkultur"
die Rede ist.8 Daraus erwachsen neue
Chancen für den außerschulischen „Lernort" Museum, insbesondere
auch für ein verbessertes Miteinander mit den Schulen. In diesem Sinn
bestehen noch zahlreiche ungeklärte Fragen, auf die Iris Mortag verwies:
„Fragen an die Schulpädagogik und Didaktik..., die im Interesse eines
zeitgemäßen schülerorientierten didaktisch-methodischen
Arrangements von Lehr-und Lernprozessen dringend einer Antwort bedürfen".9
Dazu boten die Fachtagungen des AKMPO e.V. ein Forum, um über „Museen
und Schulen in Sachsen..." neu zu diskutieren und neue Perspektiven zu
erarbeiten.
Die Tagungen wurden begleitet und unterstützt vom Sächsischen
Museumsbund, und sie unterstanden der Schirmherrschaft des Kultusministers
Dr. Matthias Rößler. Dazu sprach Friedhelm Piepmeyer vom sächsischen
Kultusministerium zum Geleit der neuen Tagung in Dresden. Er würdigte
die Zusammenarbeit von Museen als bedeutende „sekundäre Lernorte",
doch umgekehrt die Schulen als häufigst erwähnte Zielgruppe der
Museen.10 Der Vorsitzende des Sächsischen
Museumsbundes, Friedrich Reichert, ermutigte ebenso zur Zusammenarbeit
mit den Schulen. Der Gastgeber, Klaus Vogel, Direktor des Deutschen Hygiene-Museums,
betonte die Bedeutung der musealen Bildungsarbeit.
Die Dresdner Tagung bot auch die Gelegenheit zur Erinnerung; denn vor
zehn Jahren, am 26.Januar 1991, wurde der Arbeitskreis Museumspädagogik
Ostdeutschland e.V. im Pergamon-Museum zu Berlin gegründet, wo der
nächste Bundeskongress im Oktober 2001 stattfinden soll.11
Er wird gemeinsam vom Arbeitskreis und vom Bundesverband Museumspädagogik
veranstaltet, der dann ebenso auf ein Jahrzehnt seines Wirkens zurückblicken
kann.
Anmerkungen
1) Vgl. ausführliche Tagungsdokumentation
des AKMPO e.V. über „Museen und Schulen in Sachsen..." vom 18. und
19. April 1999 mit 90 Teilnehmern in der Dompropstei zu Meißen, in:
Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V.: Heft Nr. 18/1999,
S. 81-84, Nr. 19/1999, S. 41-117.
2) Im November 2000 tagten 85 Museumspädagogen
über „Museen und Schulen... II" auf Einladung des AKMPO e.V. und des
Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig (ZFL). Schwerpunkte waren Lerntheorie
und -praxis, neue Vermittlungskonzepte zum historischen Lernen, in Musik-,
Religions- und Kunstpädagogik. Dazu sprachen Experten aus Forschung,
Schul- und Museumspraxis - in Vorträgen, Workshops und Arbeitsgruppen.
Vorträge fanden nicht „nur" im ZFL statt, sondern auch im Stadtgeschichtlichen
Museum, im Bach-Museum und im Gohliser Schlösschen. Darüber hinaus
wurden die Tagungsteilnehmer auch in anderen Einrichtungen zu Workshops
freundlich empfangen. Teils wurden Vorträge auch musikalisch dargeboten,
so der musik- und geschichtsdidaktische Vortrag von Professor Dr. Dietmar
Klenke, Paderborn, live im Festsaal des Leipziger Rathauses.
3) Michael Kiupel, Natur und Technik
begreifen: Die Phänomenta in Flensburg, in: Museum aktuell. Die Zeitschrift
für Museumspraxis und Museologie im deutschsprachigen Raum: Heft-Nr.
69, Mai/Juni 2001, S. 2816-2820.
4) Vgl. auch: Max J. Kobbert, Kunstpsychologie.
Kunstwerk, Künstler und Betrachter, Darmstadt 1986.
5) Workshops waren angekündigt
von Anja Gruber (Museum der Westlausitz Kamenz), Dr. Iris Mortag (Erziehungswiss.
Fakultät d. Univ. Leipzig), Marion Neumann (Deutsches Hygiene-Museum
Dresden), Dr. Martin Börnchen (Galilei-Gymnasium Hamm), Peter Degenkolb
(Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden), Dr. Peter Kolb (Museumspäd.
Zentrum / Neue Pinakothek München), Lutz Reike (Stadtmuseum Dresden),
Michael Wendt (Technische Sammlungen, Dresden).
6) Vgl. Referat von Dr. Freimut
Scholz: Aktivblätter im Museum. Gesichtspunkte, Erfahrungen und Thesen
zur Diskussion, vervielfältigte Skripten des Landesarbeitskreises
Museumspädagogik Bayern e.V., München 1993. - Vgl. auch Landschaftsverband
Rheinland / Rheinisches Museumsamt (Hg.), Arbeitsbögen im Museum,
Köln 1989. - Melanie Ohde und Karl A. Wiederhold, Mit Grundschulkindern
das Kunstmuseum entdecken, Donauwörth 1994, S. 49-52 (Didaktische
Materialien).
7) Ullrich Amlung und Uli Jungbluth,
Seminarwerkstatt Offener Unterricht - am Beispiel Adolf Reichwein lernen,
Studientexte für das Lehramt: Band 3, Neuwied, Kriftel 2000, S. 71-80
(„Lernwerkstatt Museum"). - Vgl. Dietmar Larcher, Lernen im Museum - Lernen
in der Schule, in: Gottfried Fliedl (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis?
Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik,
Klagenfurt 1988, 5.166 ff.
8) Rolf Arnold und Ingeborg Schüßler,
Wandel der Lern-Kulturen, Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen,
Darmstadt 1998.
9) Arnold Vogt, Museen und Schulen.
Neue Perspektiven im Dialog zwischen Museologie und Didaktik, in: Museologie
und Philosophie, ICOFOM-Studien / ICOFOM Study Series: Bd. 32, München
2000, 5.125-135.
10) Ausdrücklich wies Piepmeyer
auf die neue Förderung des Museumsbesuchs hin: Förderrichtlinie
des Sächs. Staatsministeriums für Kultus zur Gewährung von
Zuwendungen für schulische Projekte unterrichtsergänzender Angelegenheiten...,
in: Sächs. Amtsblatt Nr. 11 vom 15.3.2001, S. 295f.
11) Der AKMPO e.V. ist gemeinnütziger
Fachverband für Fragen musealer Bildung und Vermittlung im Gebiet
der neuen Bundesländer, zugleich Mitglied des Bundesverbandes Museumspädagogik
e.V. (Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, Nr. 11084 Nz). Wichtige Anliegen
sind Professionalisierung in soziokulturellen Aufgaben, insbesondere in
der musealen zielgruppenorienten Kultur- u. Medienarbeit auf regionaler
und überregionaler Ebene. Dazu arbeitet der AKMPO e.V. zusammen mit
Museen, Hochschulen und anderen Bildungsträgern, und er bildet regionale
und fachliche Arbeitsgruppen. Vgl. Standbein Spielbein, Museumspädagogik
aktuell Nr. 49/1997.
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