Wulff E. Brebeck, Barbara Stambolis (Hg.)
Erinnerungsarbeit kontra
Verklärung der NS-Zeit.
Vom Umgang mit Tatorten,
Gedenkorten und Kultorten
München 2008, 163 Seiten, ISBN 3-932704-50-9
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Inhalt
Barbara Stambolis, Wulff E. Brebeck,
Einleitung
(mit Widmung an Arnold Vogt)
Arnold Vogt,
Wider
die Sprachlosigkeit! Grenzgänge zwischen Schul-, Gedenkstätten-
und Museumspädagogik
Waltraud Schreiber, Gedenkstätten
durch Rahmenprogramme und Lernwerkstätten erschließen. Möglichkeiten
und Grenzen
Léontine Meijer-van Mensch,
„Antisemitismus heute" – Einblicke in die Strategien des Jüdischen
Museums Berlin
Dietmar Klenke, Diskurse zur Täter-Opfer-Problematik
der beiden Weltkriege. Museumsdidaktische Annäherungen am Beispiel
der nationalistischen Agitationsmusik von Walter Rein als Vertreter der
Jugendmusikbewegung
Barbara Stambolis, Die Wewelsburg
– Brennpunkt einer „Politischen Religion"
Daniela Siepe, Der Mythos der „Schwarzen
Sonne"
Wulff E. Brebeck, Wewelsburg 1933-1945.
Ansätze und Perspektiven zur Neukonzeption der Dauerausstellung
Anhang
Liste der Publikationen
von Arnold Vogt – eine Auswahl
Abbildungsnachweis
Zu den Autoren
Literaturverzeichnis
Wulff E. Brebeck, Barbara Stambolis: Einleitung
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Dass die Wewelsburg ein Ort besonderer Herausforderungen ist, braucht
kaum betont zu werden. Die einstige „Kult"- und Terrorstätte der SS
ist zum Gedenkort für die Opfer des nationalsozialistischen Konzentrationslagers
Niederhagen geworden, übt aber auch eine anhaltende Faszination auf
nachwachsende Nationalsozialisten aus. Dieser doppelten Herausforderung
muss sich das Kreismuseum Wewelsburg, das vielfältig in der Aufarbeitung
der komplexen Geschichte dieses Ortes der nationalsozialistischen deutschen
Vergangenheit engagiert ist, stellen.
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Die Wewelsburg sollte ein Ort von zentraler ideologischer Bedeutung
für das SSGruppenführercorps werden. Die beteiligten Architekten
sprachen vom „Mittelpunkt der Welt". Nach Himmlers Vorstellungen sollte
um das alte Renaissanceschloss der Paderborner Fürstbischöfe
herum eine repräsentative neue Burg- und Stadtanlage entstehen. Einerseits
erscheinen die Pläne absurd und fragwürdig; dennoch sind sie
ernst zu nehmen. Für die Baumaßnahmen wurde ein Konzentrationslager,
das KZ Niederhagen, errichtet, in dem etwa 1300 Insassen Opfer der „Vernichtung
durch Arbeit" wurden. Auch heute, Jahrzehnte danach, übt der Nationalsozialismus
– trotz erheblicher zeitlicher und generationeller Ferne und jahrzehntelangem
Bemühen um Aufklärung und kritische Wachsamkeit gegenüber
neuerlichen rechtsideologischen Verirrungen – eine gewisse Anziehungskraft
aus. Dies stellt eine geschichtsdidaktische Herausforderung für Schul-,
Gedenkstätten und Museumspädagogik dar, aus der sich zahlreiche
Fragen ergeben: Welche Zugänge empfehlen sich zur Geschichte? Welche
Formen individueller Erinnerung sind wirksam? Welche didaktischen Anforderungen
sollte die Neukonzeption der Dauerausstellung im Kreismuseum Wewelsburg
erfüllen? Welche Anknüpfungspunkte bieten Gedenkstätte und
Museumsausstellung für den schulischen Umgang mit Geschichte? Welche
Chancen haben Initiativen zu Toleranz und Demokratie gegen Rechtsradikalismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus?
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Die Wewelsburg eignet sich zweifellos besonders für eine Veranstaltung,
auf der solche Fragen gestellt und diskutiert werden. Am 17. Juli 2004
fand dort eine Tagung statt. Sie wurde organisiert von der Konferenz für
Geschichtsdidaktik, dem International Committee of Memorial Museums for
the Remembrance of Victims of Public Crimes (IC MEMO), dem Arbeitskreis
Museumspädagogik Rheinland und Westfalen e.V., dem Kreismuseum Wewelsburg,
der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig sowie den
Universitäten Siegen und Paderborn. Dabei wurde versucht, von verschiedenen
Seiten aus relevante Themenstellungen und Vermittlungsformen zur Diskussion
zu stellen, wobei der historische Ort Wewelsburg einen wichtigen Bezugspunkt
bildete. Im Mittelpunkt dieser Tagung stand die Einsicht, dass Gedenkstätten
und Museen sich immer wieder auf neue gesellschaftliche Entwicklungen und
Veränderungen einstellen müssen; zu diesen rechnen nicht zuletzt
Besucherinteressen, die sich wandeln, und Wahrnehmungsgewohnheiten, die
sich verändern. Veranstaltern und Referentinnen war bewusst, dass
beispielsweise neue Sichtweisen und Fragestellungen aus der Forschung stets
dann besonders fruchtbringend in die Konzeption von Ausstellungen einfließen
können, wenn Kritik und Anregungen sich als ein Miteinander von Museen
bzw. Gedenkstätten, Schule und Wissenschaft vollziehen. Offenheit
und Interdisziplinarität, so Arnold Vogt,
spiritus rector der Veranstaltung,
sind entscheidende Voraussetzungen für angemessene Antworten auf Herausforderungen
an Museen und an Gedenkstättenarbeit.
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Arnold Vogt hatte entscheidenden
Anteil am Zustandekommen der Tagung. Ihm ging es um eine Intensivierung
der Kooperation von Schulen, Museen, Gedenkstätten und Historikern,
die sich mit erinnerungskulturellen Fragen beschäftigen. Seit Beginn
der 90er Jahre hat Arnold Vogt maßgeblich zur Profilbildung der Museologie
und Museumspädagogik beigetragen. Er hat das Miteinander von Museen,
Schulen, Pädagogik, Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft immer
wieder betont und Perspektiven einer fruchtbringenden Zusammenarbeit über
den engen Horizont der Disziplinen und Institutionen gefordert, vor allem
aber ge- und befördert.
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Die Teilnehmer der Veranstaltung 2004 haben mit Erschütterung
sehen müssen, wie weit die Krankheit von Arnold
Vogt fortgeschritten war. Die Teilnahme kostete ihn große
Anstrengung; wir sind indes sicher, dass sie ihm besonders wichtig war.
Die Tagung war von intensiven Gesprächen und Fragen sowie Anregungen
für die Weiterarbeit bestimmt, und Arnold Vogt hat sie im Sinne jener
„erzieherischen Gemeinschaftsarbeit" geprägt, für die sich der
bedeutende Reformpädagoge Adolf Reichwein eingesetzt hat, der Museen
im Sinne lebendiger Lern- und Arbeitsstätten verstand. Vogt berief
sich somit auf eine Tradition und ein Erbe, das er auf seine Weise anregend
und innovativ aufnehmen und weiterführen wollte. Er hat die Veröffentlichung
der Tagungsergebnisse nicht mehr begleiten können. Am 16. Dezember
2004 hat er seine letzte Vorlesung gehalten, am 29. Dezember 2004 ist er
im Alter von 52 Jahren gestorben. Seit 2006 erinnert nun die Hochschule
für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig, an der Vogt in den
Jahren 1993 bis 2004 als Professor für Museumspädagogik tätig
war, mit einem jährlich ausgelobten Förderpreis an seine museologischen
und museumspädagogischen Verdienste.
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Wir haben uns entschlossen, die
Beiträge der Tagung, die uns weiterhin relevant erscheinen, in der
Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg herauszubringen und diesen
Band Arnold Vogt zu widmen.
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Manche Leser mögen folgende Verse Rainer Maria Rilkes kennen:
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge
ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen
will ich ihn." Die Lebens- und Schaffensstationen
Arnold
Vogts und die Liste seiner Veröffentlichungen, die wir
unter freundlicher Mitwirkung von Alois Verheyen hier mit abdrucken können,
machen die eindrucksvoll wachsenden „Ringe" seiner Arbeit nachvollziehbar.
Zweifellos gab es einen oder den „letzten" nicht. Wir
gedenken mit diesem Buch des Museologen, Museumspädagogen und Menschen
Arnold Vogt und hoffen, dass die Lektüre im Sinne seines
Vermächtnisses anregend und weiterführend sein möge.
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September 2007 |