Hans Galen im Auftrag der Stadt Münster
(Hg.)
1789. Wien - Münster
- Paris am Vorabend der Revolution.
Stadtmuseum Münster
1. Sept. - 31. Dez. 1989
Redaktion und Kataloggestaltung: Gerd
Dethlefs, Fotos: Tomasz Samek, Ausstellung: Andrea Güthge. Texte:
Stefan Buske und Hans Galen (S. 12-15), Gerd Dethlefs (S. 7-8, 16-48, 62-84),
Dr. Silvia Dethlefs (S. 9-11), Dr.
Arnold Vogt (S. 49-61).
Greven 1989, 84 Seiten, ISBN 3-923166-31-1
.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einführung
Geistige Grundlagen des politischen
Wandels:
die Ideen der Aufklärung
Stilwandel
Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder
Wien: Die josephinischen Reformen
Münster: Zwischen Reform und Bewahrung
Paris:Gescheiterte
Reformversuche und Revolution
Die Folgen:
Napoleon und der „Export" der Revolution
Medaillen auf die Französische Revolution
Katalog
Verzeichnis der außer Katalog abgebildeten
Medaillen
Bibliographie
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Frankreich: Gescheiterte Reformversuche und Revolution
Kostspielige Kriege, eine aufwendige Hofhaltung und ein veraltetes Finanzsystem
(Steuerverpachtung) verursachten in Frankreich seit Mitte des 18. Jahrhunderts
eine schwere Staatskrise. Das Engagement im Siebenjährigen Krieg (1756-1763)
und im Amerikanischen Bürgerkrieg (1776-1783) führte zu Ausgabenerhöhungen,
die aus zusätzlichen Steuern finanziert werden sollten. Bereits in
den ersten Regierungsjahren König Ludwigs XVI. 1774 bis 1776 hatte
sich Staatsminister Anne Robert Jacques Turgot um grundlegende Reformen
bemüht. Eine proportionale Besteuerung aller Einkommen (einschließlich
der Privilegierten), drastische Einsparungen und der Verzicht auf erneute
Steuererhöhungen und Anleihen sollten die Staatsschulden abbauen.
Mit weiteren Reformedikten strebte Turgot ein Bündnis von Krone und
Volk an. Dabei scheiterte er aber am Widerstand der Königin, der Groß-Finanziers,
der privilegierten Stände und der „Parlamente" (Gerichtshöfe).
Die Steuerfreiheit der rund 500.000 Privilegierten aus Klerus und Adel
– etwa 2% der Bevölkerung – blieb daher unangetastet. Unter Turgots
Nachfolgern, besonders unter den Staatsministern Jacques Necker (1771-1781
und 1788/89), Charles Alexandre de Calonne (1781-1787) und E. Ch. Loménie
de Brienne, Erzbischof von Toulouse (1787/88), gelang es ebenso nicht,
die privilegierten Stände für Reformen zu gewinnen. Klerus und
Adel, vor allem die Gerichts- und Grundherren verteidigten hartnäckig
ihre Rechte gegenüber dem Dritten Stand –den Bürgern und Bauern.
Angesichts des drohenden Staatsbankrotts erzwangen sie sogar die Einberufung
der Generalstände im Mai 1789 durch den König. In dem sich mehr
und mehr verschärfenden Konflikt nutzte der König nicht die Chance
einer übergeordneten vermittelnden Autorität, sondern er stellte
sich auf Seiten der Privilegierten. Die Auseinandersetzungen spitzten sich
weiter zu, weil Teuerung und Hungersnot die Massenarmut verschärften
und dann Plünderungen und Revolten zur Folge hatten. Der Dritte Stand
erklärte sich zur „Verfassungsgebenden Nationalversammlung", der bald
Adel und Klerus beitraten. Mit dem „Sturm auf die Bastille" am 14. 7. 1789
begann der offene Widerstand. Schrittweise wurden der Adel und der König
entmachtet. Der Kirchenbesitz wurde
--49--
zur Finanzierung der Staatsschulden verstaatlicht, jedoch ohne die Wirtschaftskrise
zu beheben. Während der Adel vorwiegend ins Ausland auswich, scheiterte
1791 der Fluchtversuch des Königs. Eine königsfeindliche Haltung
verdrängte nunmehr die bislang weitgehend noch promonarchische Stimmung
und gipfelte schließlich in der Abschaffung des Königtums am
21. 9. 1792, vor allem in der Hinrichtung des Königs am 21. 1. 1793
und der Königin am 16. 10. 1793. Die Auseinandersetzungen eskalierten
zu radikalen Beschlüssen und unerbittlichen Kämpfen der verschiedenen
Gruppen, unter denen sich die radikalen Jakobiner durchsetzten. Militärische
Interventionsversuche, die von französischen Emigranten angeregt worden
waren, mißlangen und verliehen sogar den radikalen Bestrebungen erneuten
Auftrieb bis hin zum Terror der Guillotine. Die jakobinische Diktatur zielte
auf die unerbittliche, kompromißlose Verwirklichung der revolutioninären
Ideen gegen innere wie bald auch äußere, gegenrevolutionäre
Kräfte. Der Versuch, die Revolution ins Ausland zu „exportieren",
gelang durch die Expansion der französischen Republik in Oberitalien
und nordostwärts bis an den Rhein, später in Teilen noch unter
Napoleon..
.
Als Bartolozzi das Portrait Ludwigs XVI. (Kat.-Nr. 107) stach, war
der König bereits hingerichtet worden. Über das tragische Ende
des Monarchen äußerte sich der Künstler in einem zweisprachigen
Kommentar in der Legende. Der englische Text charakterisierte die menschliche
Tragik des „glücklosen" Königs. Die lateinischen Verse sprachen
ein gelehrtes Publikum an mit einem Zitat des römischen Dichters Lucan,
das zur vergleichenden Betrachtung mit dem römischen Bürgerkrieg
anregte. Es gab dem Revolutionsgeschehen eine dramatische, historisch-philosophische
Bewertung: mit der Klage über das vergossene Blut des Volkes und seines
Königs. Zweifellos war das persönliche Geschick Ludwigs XVI.
und Marie Antoinettes auf tragische Weise verbunden mit dem schrittweisen
Zusammenbruch der monarchisch-ständischen Staats- und Gesellschaftsordnung
in Frankreich. Ludwig mußte bereits im Alter von zwanzig Jahren,
am 10. 5. 1774, den französischen Königsthron besteigen — pflichtbewußt,
doch gegen seinen Willen. Nur in außenpolitischen Fragen entwickelte
er selbständige Vorstellungen und beharrte auf deren Verwirklichung
auch mit Erfolg (vgl. das französische Engagement in Amerika, Verzicht
auf territoriale Eroberungen, Neu-
.
Abb. Kat.-Nr. 108
Königin Marie Antoinette (1755-1793), Erzherzogin von Österreich
Radierung von F. Bartolozzi 1790, Stadtmuseum Münster
.
tralität gegenüber den Großmächten Österreich
und Preußen). In anderen Bereichen, vor allem in der Staatskrise
vertrat Ludwig XVI. keinen konsequenten Regierungskurs. Er orientierte
sich an wechselnden Beratern, ohne eine wirkungsvolle Entlastung zu erreichen
und verstärkte so die Unsicherheit und Unruhe im Lande. Aufgrund seines
Rechtsgefühls scheute er die Auseinandersetzung mit den privilegierten
Ständen. Mehr und mehr verlor er an Macht und Handlungsspielraum bis
zu seiner Verurteilung zum Tode.
.
Das Bildnis Marie Antoinettes (Kat.-Nr. 108) entstand im Jahre 1790,
als die Harmonie von Thron und Volk noch weitgehend ungetrübt schien.
Sie galt als intelligent, schön und tatkräftig und bildete den
glänzenden Mittelpunkt des Königshofes.
--50--
Abb. Kat.-Nr. 107
König Ludwig XVI. (1754-1793),
Radierung von F. Bartolozzi 1793, Stadtmuseum Münster
--51--
Wiedereinsetzung des „Parlaments" und Reformversuche
.
Nach zeitgenössischem Empfinden sollte der Regierungsantritt Ludwigs
XVI. am 10. 5. 1774 eine neue Ära begründen, hoffnungsvoll eingeleitet
durch die Berufung des neuen Staatsministers Turgot. Seine Aufgabe bestand
darin, ein Konzept für Reformen, insbesondere für einen Ausweg
aus der durch Überschuldung verursachten Finanzkrise zu entwickeln.
Bei den ersten staatspolitischen Maßnahmen ließ sich der Monarch
aber stärker vom Traditions- und Rechtsbewußtsein leiten: am
12. 11. 1774 setzte er das „Parlament" (Gerichtshof) im Louvre feierlich
in seine frühere Funktion wieder ein. Es war erst 1771 von Ludwig
XV. aufgehoben und durch eine neue Gerichtsorganisation abgelöst worden:
mit Richtern, die vom Staatsfiskus fest besoldet waren und unentgeltlich
Recht sprachen. Obwohl diese nur ein Drittel der früheren Parlamentsräte
zählten, übertrafen sie deren Leistungen, ohne ihre Dienste von
den Rechtssuchenden bezahlen zu lassen. Die neuen Gerichtshöfe hatten
in der Bevölkerung hohes Ansehen erworben, doch vermochten die aus
Paris verbannten, adeligen Familien der früheren Gerichtsherren, den
König zur Revision der Parlamentsaufhebung zu bewegen.
.
Die Radierung (Kat.-Nr. 109) zeigt den Großen Gerichtstag vom
12. 11. 1774: der König auf dem Thron unter dem Baldachin (links oben),
um ihn herum die Parlamentsmitglieder des Oberhauses — Hochadel, Kleriker,
Höflinge, Beamte und Garde in der vorgeschriebenen zeremoniellen Rangordnung.
Die wichtigsten Würdenträger sind zusätzlich in der Legende
benannt.
.
Die Wiedereinsetzung des alten Parlaments war zwar mit einer Huldigung
und Ergebenheitserklärung gegenüber der Krone verbunden, erneuerte
aber letztlich eine Institution, die sich seit Jahrzehnten jeder Reform
oder grundlegenden Änderung widersetzt hatte. So wurden Chancen einer
reformorientierten, „aufgeklärten" Erneuerung der Monarchie weiter
eingeengt. Den Reformbemühungen Turgots, seinen Sparmaßnahmen
u. a. setzte das Pariser Parlament Widerstand entgegen. Nur mit Mühe
konnte er den König 1776 zu einigen wirtschaftlichen und sozialen
Reformedikten drängen. Sie betrafen die Aufhebung des Zunftzwanges,
die Gewerbefreiheit, die Senkung der Lebensmittelpreise, das Recht auf
freie Arbeitswahl u. a. Mit diesen Maßnahmen wollte er eine neue
Politik begründen, die Thron und Volk zu einem Bündnis zusammenschließen
sollte. Ein Mitarbeiter Turgots verfaßte dazu ein „Mémoire
sur les municipalités", das ein System von Gemeinde-, Kantonal-
und Provinzialversammlungen vorsah, gekrönt durch eine Nationalversammlung.
Sie sollten dem Monarchen als „bon tyran" beratend zur Seite stehen. Dieses
Reformvorhaben konnte Turgot jedoch dem König nicht mehr vortragen,
weil das Vertrauensverhältnis wegen des anhaltenden Protests des Parlaments
zunehmend belastet war. Die Gegensätze erreichten einen neuen Höhepunkt,
als sich ein anderer Mitarbeiter Turgots in einer Denkschrift „Les inconvénients
des droits féodaux" behutsam für die Ablösbarkeit gewisser
Adelsvorrechte aussprach. Das Parlament ließ die Schrift öffentlich
verbrennen. Gegen die von Turgot propagierte Gewerbefreiheit entfachte
das Parlament einen Proteststurm. Am 10. 5. 1776 verlor Turgot schließlich
seine Ämter, ohne daß ihn der König noch einmal empfing.
Mit der Entlassung Turgots war das Scheitern seiner Reformvorhaben besiegelt.
Lediglich seine Militärpolitik brachte unangefochtene, dauerhafte
Erfolge: z. B. die leistungsorientierte Offiziersausbildung für verarmte
Adlige und der energische Ausbau der Marine. Die Modernisierung von Artillerie,
Kartographie und Pionierwesen waren bald sogar führend im internationalen
Vergleich.
.
Auch bei Turgots Nachfolgern waren Reformen nur gegen anstatt mit dem
Parlament möglich. Erst unter dem Druck der öffentlichen Meinung
wurden Anfang August 1787 einige Maßnahmen zugestanden: die Freigabe
des Getreidehandels, der Ersatz der Fronarbeit durch Geldleistungen, die
gesetzliche Verankerung beratender Provinzialversammlungen und die Abschaffung
der Folter. Aber beim entscheidenden Reformvorhaben, der Mitbesteuerung
des Adels, verweigerte sich das Parlament und forderte nunmehr die Einberufung
der Generalstände. Sie waren seit 1614 nicht mehr zusammengetreten
und bestanden aus der Geistlichkeit, dem Adel und dem Dritten Stand (Bürger,
Beamte, ländliche Bevölkerung u. a.) aus dem ganzen Land. Sie
hatten wichtigen Anteil an der Landesherrschaft, u. a. durch das Steuerbewilligungsrecht.
Darauf beruhte der eigentümliche Dualismus zwischen Ständen und
Monarchen, die sich jeweils als eigenständige Kräfte und Konkurrenten
verstanden. Im Kampf um die alten Vorrechte erklärte sich das Parla-
--52--
Abb. Kat.-Nr. 109
Wiederzulassung der Parlamente durch Ludwig XVI. (12.11.1774)
Radierung um 1775/80, unsigniert und undatiert, Stadtmuseum Münster
.
ment seit Mai 1787 sogar als genereller Vertreter der „Freiheit" gegen
die angebliche Willkür der Krone und gewann so zeitweilig Sympathien
in der Öffentlichkeit. Der König sah sich gezwungen, das Parlament
faktisch zu entmachten (zeitweilige Verbannung des Parlaments nach Troyes
1787, Verhaftung von Parlamentsräten, Kassierung von Parlamentsbeschlüssen,
zwangsweise Einregistrierung neuer Reformedikte, Umbau der Gerichtsorganisation
am 8. 5. 1788). Im November 1788 erklärte er sich im Gegenzug zum
Vertreter der Nation, wandte sich aber nicht an die Öffentlichkeit.
Der öffentliche Streit um Reformen – zwischen dem König, seinen
Ministern und dem Parlament – trug sehr zum Autoritätsverfall der
Krone und der alten Ordnung bei. Der offene Konflikt zwischen König
und Pariser Parlament, mit dem sich im Juni 1788 ebenso einige Provinzparlamente
solidarisierten, verursachte eine Legitimationskrise des Staates. In Flugblättern,
Schriften u. ä. ließen die Parlamente sogar zur „Revolution"
gegen den König aufrufen, ohne die Konsequenzen und Risiken realistisch
einzuschätzen. In diesem Gegen- und Durcheinander entstand ein Machtvakuum,
das neue Kräfte zur Einflußnahme einlud.
--53--
Die neue Gleichheit der Stände
.
In den Auseinandersetzungen um Staatsreformen standen sich bis 1788
im wesentlichen zwei Kontrahenten gegenüber. Auf der einen Seite kämpfte
der Adel um seine Rechte mit Hilfe des höchsten französischen
Gerichtshofes, des Pariser Parlaments, und der Öffentlichkeit. Auf
der anderen Seite wollte der König die dringlichen Reformen und die
Mitbesteuerung des Adels durchsetzen, freilich nur im Wege der Verständigung
mit dem Parlament. Aufgrund der Unnachgiebigkeit des Adels bzw. des Parlaments
war eine Patt-Situation entstanden. Der König wandte sich weder an
die Öffentlichkeit noch an die übrigen Stände (Klerus und
Dritter Stand); er nutzte ebenso nicht die Machtüberlegenheit der
Krone, um den Adel zum Einlenken zu bewegen. Anstatt die Initiative an
sich zu reißen, reagierte er unsicher auf die Forderung des Parlaments
nach einer Einberufung der Generalstände. Beinahe die gesamte männliche
Bevölkerung (beim Adel auch die Frauen) war zur Wahl gerufen. Dabei
zeigte sich der Macht- und Prestigeverlust des Adels, der den Rückhalt
im Bürgertum, dem Dritten Stand verloren hatte. Ihm mußte das
Parlament schon bei den Vorverhandlungen zur Einberufung der Generalstände
Zugeständnisse einräumen, z. B. die Verdoppelung der Kopfzahl
(27. 12. 1788). Indem dabei der Wahlmodus (Abstimmung nach Kopf oder Stand)
nicht bestimmt wurde, entstand bereits ein neues Konfliktpotential. Am
1. 5. 1789 traten die Generalstände, getrennt in Klerus, Adel und
Drittem Stand, zusammen. Mit dem Dritten Stand sympathisierte die große
Mehrheit des Ersten Standes, der Klerus – zumeist einfache Pfarrer. Als
nach langen ergebnislosen Verhandlungen der Dritte Stand sich mit dem Anspruch,
alleiniger Vertreter der Nation zu sein, zur „Nationalversammlung" erklärte
und darüber hinaus eine grundlegende Neuordnung des Staates durch
eine neue Verfassung forderte, lag die Initiative nicht mehr bei der Adels-Opposition
gegen die Krone. Künftig war der Dritte Stand praktisch gleichberechtigt
oder sogar vorrangig neben den bisher privilegierten Ständen des Adels
und des Klerus. So war es nur konsequent, daß die Nationalversammlung
in der Nacht vom 4. zum 5. August 1789 die Abschaffung des Feudalsystems
beschloß und am 26. August des Jahres die Erklärung der Menschen-
und Bürgerrechte verabschiedete.
.
Eine zeitgenössische Allegorie (Kat.-Nr. 131) begründete
die neue Gleichheit der Stände mit der christlichen „Religion". Ihrer
Botschaft: „Für mich seid Ihr alle Brüder!" wenden sich die drei
Stände jeweils mit offenen ausgestreckten Armen zu, allen voran der
Dritte Stand im Mittelpunkt des Bildes. Adel und Klerus werden (noch ?)
zurückgehalten durch irdische Bindungen (Neid und Stolz). Nur der
Dritte Stand öffnet sich uneingeschränkt der religiösen
Erkenntnis, daß alle Stände gleichberechtigte Brüder seien.
– In dieser Botschaft lag mittelbar eine Kritik an der traditionsbewußten
Kirche, die an Privilegien, Reichtum u. ä. festhielt. Demgegenüber
verlangte das Bild offenbar eine Neubesinnung auf einen biblisch-religiösen
Natur- oder Urzustand, aus dem die Forderung nach der Gleichheit aller
Stände abzuleiten war. Indem die Allegorie mit der Gleichheitsforderung
der alten, ständischen Ordnung widersprach, belegte das Bild eine
tiefe Legitimationskrise, die die französische Monarchie damals erschütterte.
Seit Jahrhunderten waren katholische Kirche bzw. „Religion" die Grundlage
der französischen Monarchie gewesen. Die ständische Gesellschaftsordnung
mit dem König „von Gottes Gnaden" an der Spitze galten nach kirchlicher
Lehre als gottgewollt und jedem menschlichen Zugriff entzogen. Dem Klerus
waren wichtige Privilegien, Steuerfreiheit u. a. vorbehalten. Mit Grund-
und Bodenrechten verfügten sie über große Einkünfte
und eine starke Machtstellung. In zentralen Bereichen z. B. im Erziehungswesen,
besaß die Kirche eine Monopolstellung. Darüber hinaus prägte
sie das Leben durch Kalender, religiöse Feiertage, Glockengeläute,
die den Tagesablauf und den Arbeitsrhythmus bestimmten. Nur widerwillig
wurde die Verstaatlichung der Kirchengüter am 2. 11. 1789 hingenommen.
Am 13. 2. 1790 folgte die Aufhebung der Klöster. Als aber am 12. 7.
1790 die „Zivilkonstitution" ohne Abstimmung mit kirchlichen Autoritäten
beschlossen wurde – u. a. die Wahl der Bischöfe und Pfarrer durch
politische Gremien – wurde der Konflikt unvermeidlich. Der Papst verurteilte
die „Zivilkonstitution". Daraufhin wurde der Kampf gegen die Kirche schrittweise
verschärft im Zuge einer systematischen Entchristianisierungskampagne:
Verhaftungen von Priestern, Einführung des Revolutionskalenders (1792-1805),
revolutionäre pseudoreligiöse Ersatzkulte des „Höchsten
Wesens" u. a.
--54--
Abb. Kat.-Nr. 131
Allegorie auf die Gleichheit der Stände
Aquatintaradierung, um 1789, unsigniert und undatiert, Stadtmuseum
Münster
--55--
Der Weg zur Hinrichtung
.
Mit der Einberufung der Generalstände zum 1. 5. 1789 beabsichtigte
der König ursprünglich eine Sanierung der Staatsfinanzen. Diese
Hoffnung aber erfüllte sich nicht. Die endlosen Debatten in den Generalständen
und der späteren Nationalversammlung boten keinen Ausweg aus der Finanzkrise.
Die Spannungen wuchsen ins Unerträgliche angesichts der Hungersnot
und des Preisanstiegs für Lebensmittel, der Plünderungen und
Revolten. Weil sich der König auf seine französischen Truppen
nicht mehr zweifelsfrei verlassen konnte, ließ er im Juli 1789 ausländische
Söldner zusammenziehen, um sie gegen die Aufständischen einzusetzen.
So provozierte er am 14. 7. 1789 den Sturm auf die Bastille. Deren erzwungene
Übergabe wurde als Zeichen und Beginn des offenen Widerstands gegen
die alte Ordnung verstanden, an der der König noch immer festhalten
wollte. So verweigerte er im August 1789 seine Zustimmung zu den Beschlüssen
der Nationalversammlung (Abschaffung der Feudalrechte und der Steuerprivilegien
des Adels, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte). Von neuem
versuchte er, mit Truppen in das Geschehen einzugreifen. Doch anstatt die
Kontrolle über Paris an sich zu reißen, entglitt sie ihm nun
völlig, denn sein Truppenbefehl empörte die Pariser Bevölkerung.
Tausende von Pariser Frauen, die sog. „Marktweiber", zogen daraufhin vom
5. 10. zum 6. 10. 1789 nach Versailles, erstürmten das Schloß
und zwangen die königliche Familie zur Übersiedlung nach Paris,
wo sie freilich freundlich empfangen wurde.
.
Nach dem Sturm auf die Bastille war nun ein zweites Mal ein entscheidender
Einfluß vom „Straßen"-Volk, vor allem von den Sansculotten
(Kleineigentümer und Besitzlose) ausgegangen – symptomatisch für
die weitere Radikalisierung des Geschehens. Die Sansculotten konnten ihre
Macht besonders in Paris entfalten, wo sie auf die Debatten der Nationalversammlung
und künftig auch auf die königliche Familie einwirkten. Ludwig
XVI. hatte die absolute Machtstellung verloren und erklärte dies auch
in der Öffentlichkeit. Die königliche Staatsverwaltung war inzwischen
zusammengebrochen. Die regulären Steuereinnahmen fielen aus. Zur Vermeidung
des allgemeinen Staatsbankrotts wurden nun die Kirchengüter verstaatlicht
(Verkauf gegen die Herausgabe von Assignaten). Der ständige Nachdruck
der Assignaten begünstigte jedoch eine galoppierende Inflation, die
wiederum die krisenhafte, revolutionäre Stimmung, insbesondere die
Not auf der „Straße" verstärkte. Die Verfassungsberatungen der
Nationalversammlung verschärften zusätzlich die Spannungen. Die
neue „Zivilkonstitution" für den Klerus (12. 7. 1790) führte
in den Konflikt mit Papst und katholischer Kirche. Die Abschaffung der
Adelstitel beförderte die allgemeine Flucht des Adels ins Ausland,
wo die französischen Emigranten zum Kampf gegen die Revolution aufriefen.
Am 21. 10. 1790 wurde das königliche Lilienbanner durch die Trikolore
ersetzt. Trotz der Vielzahl dieser grundlegenden Änderungen war das
Ansehen des (inzwischen konstitutionellen) Königs noch unangefochten.
Ein deutlicher Umschwung erfolgte erst durch den Fluchtversuch Ludwigs
XVI. in der Nacht vom 20.6. zum 21. 6. 1791. Unter eisigem Schweigen wurde
er in Paris empfangen. Forderungen nach seiner Abdankung wurden laut während
einer Massenveranstaltung auf dem Pariser Marsfeld, die in einem Massaker
der Nationalgarde endete. Seither radikalisierte sich die innenpolitische
Entwicklung (Forderung nach einer Republik bzw. nach weiterer Einschränkung
der Königsrechte, Verabschiedung einer neuen Verfassung am 3. 9. 1791
mit einem Zensuswahlsystem nach Steueraufkommen –. den Gleichheitsprinzipien
der Menschen- und Bürgerrechte zum Trotz). Die neugewählte Nationalversammlung,
der Nationalkonvent, erklärte am 20. 4. 1792 den Krieg gegen Österreich,
nachdem Kaiser Leopold II. und König Friedrich Wilhelm II. von Preußen
kurz zuvor das Schicksal der französischen Königsfamilie zu einer
europäischen Angelegenheit erklärt hatten. Ludwig verweigerte
seine Zustimmung, entließ die Regierung und verhinderte so zunächst
die Aufstellung einer Kriegsarmee. Er löste durch seine ablehnende
Haltung ebenso eine Verfassungskrise aus. Auf Bitten der Königin Marie
Antoinette versuchte der Herzog von Braunschweig, Oberbefehlshaber der
alliierten Truppen, zu intervenieren und kündigte die Besetzung und
Zerstörung von Paris an, falls dem König ein Leid geschehe. Doch
nach Bekanntwerden der Drohung stürmten Sansculotten am 10. 8. 1792
die Tuilerien in Paris. Die königliche Familie wurde gefangengesetzt.
Die Besitzungen von emigrierten Adeligen wurden verkauft. Häftlinge,
die im Verdacht der Konterrevolution standen, fanden zu Hunderten in den
„Septembermorden" den Tod. Die erneuten, allgemeinen Wahlen zum Nationalkonvent
–
--56--
Abb. Kat.-Nr. 142
Ludwig XVI. vor seiner Hinrichtung (21.1.1793),
Punktierkupferstich von Cazenave, um 1793/95, signiert und undatiert,
Stadtmuseum Münster
.
unter Ausschluß von Frauen – hatten angesichts der hohen Wahlenthaltung
ebenfalls einer weiteren Radikalisierung Vorschub geleistet. Er beschloß
am 21. 9. 1792 die Abschaffung des Königtums. Frankreich wurde Republik.
Bald darauf stand der frühere König wegen der Verschwörung
gegen den Staat und die Sicherheit der Nation unter Anklage. Noch immer
war die Beurteilung seines Verhaltens im Nationalkonvent umstritten, in
dem das Todesurteil am 17. 1. 1793 nur mit der knappen Mehrheit einer Stimme
(361 gegen 360) zustande kam.
Die Radierung (Kat.-Nr. 142) stellt König Ludwig XVI., inzwischen
der „Bürger Louis Capet", auf dem Weg zur Hinrichtung dar: barhäuptig
in weißem Hemd, die Hände abwehrend von sich gestreckt. So erscheint
die hell leuchtende Gestalt des entthronten Monarchen in ihrer Isolierung
und Ohnmacht vor dem durchweg düsteren Hintergrund, zugleich in ihrer
völligen Hilflosigkeit gegenüber dem kaum zu überschauenden
Truppenaufgebot. Einen Ausweg gibt es nicht mehr. Die gesenkte Trikolore
weist auf die nationale Symbolik des Geschehens.
--57--
Schreckensherrschaft
.
Schon wenige Tage nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. erklärte der
Nationalkonvent den Krieg auch gegen Großbritannien und Holland.
Die Gironde, die dem Besitzbürgertum verbundene Abgeordneten-Mehrheit,
die den Krieg zu verantworten hatte, verweigerte jedoch die für den
Erfolg erforderlichen, finanziellen Mittel. Als die Revolutionsarmee unter
General Dumouriez bei Neerwinden im März 1793 eine Niederlage erlitt
und zugleich die gegenrevolutionären Bauernaufstände in der Vendée
ausbrachen, wurde eine politische Kursänderung unumgänglich.
Wieder waren es die Sansculotten, die eine Reihe politischer „Wohlfahrtsmaßnahmen"
vom Nationalkonvent forderten: der Ausschluß der Gironde-Führer,
die Verhaftung politischer Gegner, der Aufbau einer revolutionären
Armee, das exklusive Wahlrecht nur für Sansculotten, die Garantie
eines geringen Brotpreises und einer Sozialfürsorge für alte,
kranke, kriegsinvalide Menschen sowie für Kriegshinterbliebene. Unter
dem Eindruck der militärischen Bedrohungen – innen wie außen
– und der unnachgiebigen Forderungen der Pariser Sansculotten gab der Nationalkonvent
nach. Im Interesse der „Wohlfahrt" von Armee und Nation wurden seit März
1793 die sog. Revolutionstribunale eingerichtet. Die Tribunale entschieden
„nur" über Freispruch oder Todesstrafe – ohne die Möglichkeit
einer Verteidigung oder Revision. Die Richter und Geschworenen der Tribunale
wurden vom Nationalkonvent ernannt, der ebenso den Wohlfahrts- und den
Sicherheitsausschuß bildete. Der Wohlfahrtsausschuß war das
eigentliche Regierungsorgan, verantwortlich auch für den Terror. Eine
Welle von Hinrichtungen in der ganzen Republik sollte der Abschreckung
gegenrevolutionärer Aufstände dienen. Wichtige Mittel der Kontrolle
waren die Kontrolle von Fremden im ganzen Lande und die Pflicht, besondere
Bürgerausweise zu tragen. Dem Wohlfahrtsausschuß gehörten
neun monatlich neuzuwählende Konventsmitglieder an. Dabei errangen
die Abgeordneten des Jakobinerklubs die Führung. Von ihnen wurde Robespierre
am 27. 7. 1793 erstmals in den Wohlfahrtsausschuß gewählt. Sie
hatten die außergewöhnliche Lage und die Notwendigkeit erkannt,
daß die krisenhaften Verhältnisse, insbesondere die militärische
Bedrohung extreme Maßnahmen erforderten. Das Gebot der nationalen
Verteidigung erhielt den absoluten Vorrang, u. a. die Einführung der
Allgemeinen Wehrpflicht, die „Levée en masse", die Festsetzung von
Höchstpreisen für Lebensmittelpreise und Löhne. Massendemonstrationen
der Sansculotten erforderten weitere Beschlüsse, die die Schreckensherrschaft
mit zusätzlichen diktatorischen Vollmachten verankerte.
.
Gleich einer Demonstration der neuen Machtverhältnisse wurde nun
die Königin Marie Antoinette unter Anklage gestellt. Den Revolutionären
war sie die Verkörperung der alten „Tyrannei" – als Tochter des deutschen
Kaiserhauses Habsburg. Sie hatte die ganze, aufwendige Pracht höfischer
Repräsentation entfaltet, die auf viele Besucher starke Anziehungskraft
ausübte; ihre Brüder Joseph II. und Max Franz, die sich 1777
in Paris aufgehalten hatten, fühlten sich jedoch eher abgestoßen.
Die Halsbandaffäre hatte ihr – freilich zu Unrecht – den Ruf einer
Betrügerin, der Sittenlosigkeit und verantwortungsloser Verschwendung
eingetragen und die Zahl ihrer Kritiker erhöht. Als entschiedene Gegnerin
aller Reformen und dann der Revolution traf sie der besondere Haß
der Revolutionäre. Seit dem Sturm auf die Tuilerien war sie in Haft
gewesen und zum Jahreswechsel 1792/93 vom König getrennt worden, den
sie nur am Hinrichtungstag noch einmal sehen durfte. Nach der Trennung
von ihrem Sohn im Juli 1793 war sie in dem berüchtigten Volksgefängnis,
der „Conciergerie", eingekerkert worden. Unter dem Verdacht des Verrats,
der Verstrickung im Bürgerkrieg und sittlicher Verbrechen wurde sie
nun vor das Revolutionstribunal geführt und verurteilt. Wie eine gemeine
Verbrecherin mußte Marie Antoinette am 16. 10. 1793 zur Hinrichtung
erscheinen. Auf ihrem letzten Weg durch die von Schaulustigen gesäumten
Pariser Straßen ist sie auf der Radierung von Silanic zu sehen (Kat.-Nr.
143).
.
Wenig später erreichte die Schreckensherrschaft ihren Höhepunkt
in der Entchristianisierungskampagne (vgl. das „Fest der Freiheit und der
Vernunft" am 20. 11. 1793, das Fest des „Höchsten Wesens" unter Vorsitz
Robespierres am 8. 6. 1794, massenhafte Hinrichtungen). Am 14. 12. 1793
erklärte der Nationalkonvent die Regierung als „revolutionär
bis zum Frieden". Mit diesem Beschluß blieb die Regierungsgewalt
weiterhin in Händen des radikalen Wohlfahrtsausschusses, wurde später
noch zentralisiert, so daß die Diktatur nun uneingeschränkt
bis hin zum verschärften „Grande terreur" fortbestand. Die Niederschlagung
des Vendée-Aufstandes (17. 10. 1793) und
--58--
Abb. Kat.-Nr. 143
Königin Marie Antoinette auf dem Weg zur Hinrichtung (16.10.1793),
Radierung von C. Silanic, um 1794/1795, Leihgabe aus Privatbesitz
.
der Sieg der Revolutionsarmee über die Österreicher bei Fleurus
(Belgien, 26. 6. 1794) beseitigte aber die Grundlage der radikalen, revolutionären
Diktatur, deren Anführer nun ihrerseits zur Guillotine geführt
wurden, zuletzt Robespierre und seine Anhänger aus dem Jakobinerklub
am 27.7. und 28. 7. 1794. Ihr Sturz bedeutete das Ende der Schreckensherrschaft.
.
Daran konnten auch die späteren monarchistischen Aufstände
in der Vendée und der Bretagne nichts ändern. Sie wurden zwar
von England aus mit Waffen und Munition unterstützt. Die Entsendung
einer regulären, gegenrevolutionären Armee zur Landung auf der
Halbinsel Quiberon wurde von französischen Regierungstruppen im Juli
1795 niedergeschlagen. Gegen die erneuten Unruhen in der Vendée
und der Bretagne wandte die Republik mit Erfolg eine flexible Strategie
an: Amnestie für politische Gefangene und Konzessionen in religiösen
Fragen, um die bäuerliche Bevölkerung von den gegenrevolutionären
Führern zu trennen. Nur noch in Einzelfällen waren konzentrierte
Militäreinsätze durchzuführen.
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Die Endphase der Revolution —Aufstand der Sansculotten
.
Nach dem Sturz Robespierres kehrten die überlebenden, früher
geächteten Girondisten nach Paris zurück. Eine neue politische
Führungsgruppe bildete sich und bestimmte den künftigen Regierungskurs,
der die radikalen Kräfte weiter einschränkte und die Preisbindungen
für Lebensmittel aufhob (vgl. u. a. die endgültige Schließung
des Jakobinerklubs am 12. 11. 1794, wiederholte Unterdrückung von
Hungeraufständen der Sansculotten). Am ersten Prairial des dritten
Jahres der republikanischen Zeitrechnung, d. h. am 20. 5. 1795, wurde der
Konventsabgeordnete der Rechten, Jean Feraud, während eines Volksaufstandes
ermordet. Damals war der Konvent von Angehörigen der ärmsten
Bevölkerungsschichten und sympathisierenden Nationalgardisten belagert
worden. Ein wichtiger Grund der Unruhen war die schwierige Versorgung mit
Lebensmitteln. Die geringe Ernte des vergangenen Jahres, der anschließende
harte Winter und hohe Preise auferlegten den Ärmsten, den Sansculotten,
besonders schwere Lasten. Als bedrohlich wurde außerdem der neue
Regierungskurs der Konventsmehrheit empfunden, der seit dem Ende der Schreckensherrschaft
vorrangig das Besitzbürgertum förderte – durch die uneingeschränkte
Wirtschaftsfreiheit, die Einberufung zum Militär und durch Säuberungsaktionen
gegen radikale Revolutionäre. Diese Maßnahmen hatten wiederholte
Revolten im Jahre 1795 zur Folge.
.
Eine zeitgenössische Radierung (Kat.-Nr. 148) zeigt die Sansculotten
im Konvent – in dem für den Konvent neugestalteten Salle du Manège,
einer Reithalle bei den Tuilerien. Drei Personengruppen stehen einander
gegenüber: Konventsabgeordnete, Sansculotten und Passanten – anhand
ihrer Gestik, insbesondere Armbewegung und Blickrichtung deutlich zu unterscheiden.
Im Mittelpunkt erscheint die dramatische Situation in besonderer Zuspitzung:
der Präsident des Nationalkonvents (sitzend, in abwehrender Haltung)
gegenüber einem Sansculotten, der triumphierend eine Pike mit dem
Kopf Ferauds hält. Der bedrohliche Charakter der Situation zeigt sich
in den kämpferisch erhobenen Säbeln und Spießen der Aufständischen,
auch im Rauch eines Gewehrschusses aus ihren Reihen. Ihr selbstbewußter
politischer Anspruch und die Verletzung der Parlamentsordnung werden sinnfällig
hervor
gehoben, indem die Sansculotten die Podien erstürmen und unmittelbar
unter den Tafeln der Menschenrechte und der Verfassung sowie unter den
Nationalfahnen zu sehen sind, deutlich erkennbar auch an ihrer einfachen
Kleidung, der sie den Namen „Sansculotten" verdankten. Weil sie nicht die
aristokratische Kniebundhosen („culottes"), sondern nur einfache Arbeitshosen
trugen, nannte man sie die „Ohn-" oder „Unbehosten", eben „Sansculotten".
Die Konventsabgeordneten scheinen in ihrer Meinung gespalten. Ebenso scheinen
die Zuschauer, darunter augenfällig viele Frauen (unterhalb der Büste
Rousseaus) teils zustimmend, teils ablehnend. – Die Perspektive des Bildes
bezieht den Betrachter in das Geschehen ein und regt zur Stellungnahme
an. Anscheinend war das Anliegen der Künstler, eine möglichst
sachliche Darstellung zu schaffen. Es belegt das hohe Niveau der zeitgenössischen
öffentlich-politischen Auseinandersetzungen, wie sie auch anderen
„Ereignisbildern" dieser Zeit zu eigen war. Zwar ist der Konflikt im Bild
unentschieden dargestellt, doch brachte das Ergebnis des Aufstandes keine
Änderung der Machtverhältnisse. Konventsabgeordnete, die sich
für die Aufständischen erklärt hatten, wurden wenig später
verhaftet. Seit dieser Niederlage konnten die Sansculotten einen entscheidenden
politischen Einfluß nicht mehr behaupten.
.
Seit Juni 1795 versuchte eine Emigrantenarmee noch einmal die Revision
der revolutionären Ordnung, wurde aber von den Regierungstruppen geschlagen.
Die neue Direktorialverfassung vom 2. 8. 1795 sicherte im Wahlrecht die
Vorherrschaft des Besitzbürgertums. Dennoch bedurfte es mehrfacher
Manipulationen, um extreme Royalisten und Anhänger der früheren
Jakobiner von der Macht fernzuhalten. Die vorherrschende, neue Führungsschicht
verdankte ihren politischen und wirtschaftlichen Aufstieg dem vergangenen
Kriegsgeschehen (Wohlstand durch Waffenproduktion, Belieferung der Kriegstruppen
und andere Dienste für das Militär). Das neuaufgestiegene Bürgertum
versuchte eine politische Neugestaltung, die eine Rückkehr zur vorkonstitutionellen
Monarchie oder zur jakobinischen Diktatur sicher ausschloß. Konsequenterweise
wurde eine Verfassung eingeführt, die aus einem komplizierten System
der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle der politischen Gremien
bestand. Als Exekutivorgan der Republik wurde ein Direktorium gewählt,
das aus fünf Mitgliedern bestand (erstmals 31. 10. 1795), jedoch nur
sehr schwerfällig
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Abb. Kat.-Nr. 148
Aufstand der Sansculotten gegen den Nationalkonvent (20.5.1795),
Radierung von I. St. H. Helman 1797/98, Leihgabe aus Privatbesitz
.
handeln konnte. Diese in der Verfassung begründete Schwäche
des Regierungssystems führte in den folgenden Jahren zu wiederholten
militärischen Übergriffen und mehrfach zu einem Staatsstreich,
zuletzt am 9. 11. 1799, als General Bonaparte das Direktorium beseitigte
und eine neue Verfassung verkündete. Zugleich erklärte er die
Revolution für „beendet". Ihre wesentlichen Grundsätze waren,
so Napoleon, in der neuen Staatsordnung gewährleistet: „ ... die wahren
Prinzipien der Repräsentativregierung, ... die geheiligten Rechte
des Eigentums, der Gleichheit und der Freiheit."
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